In einer bedrohlichen Situation wird das Gehirn innerhalb von Sekunden in einen Zustand der Bereitschaft versetzt, um eine optimale Reaktion zu ermöglichen. Während einige Hirnregionen vorübergehend inaktiver sind, sind andere eher aktiver und sie bilden ein temporäres Netzwerk. Dies berichten Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Science“. Noradrenalin ist die treibende Kraft hinter dieser raschen Reorganisation von Hirnfunktionen.
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Unmittelbar nachdem man etwas Bedrohliches wahrnimmt kommt es zu einer umfassenden Gehirnreorganisation die eine angemessene Reaktion ermöglicht, die das Überleben in gefährlichen Situationen wahrscheinlicher macht. Nie zuvor haben Forscher diese Reorganisation genau kartiert.
„Wenn wir bedroht werden spüren wir Angst, unsere Wahrnehmung wird auf die Gefahr fokussierter, unser Gedächtnis besser, aber unser Denkvermögen wird vorübergehend eingeschränkt. All das passiert sehr schnell, so dass wir unmittelbar und adäquat reagieren können“, sagt Erno Hermans, der Erstautor der neuen Studie. Das Forscherteam unter der Leitung von Guillén Fernández arbeitet am renommierten Donders Institut für Gehirn-, Kognitions- und Verhaltensforschung an der Radboud Universität Nimwegen in den Niederlanden.
Angst im Scanner
Die Forscher haben die Versuchspersonen kurze Abschnitte eines Horrorfilmes sehen lassen während die Hirnaktivität mit funktioneller Kernspintomographie vermessen wurde. Die gemessene Hirnaktivität wurde anschließend mit neuen Methoden analysiert. Hermans hebt hervor, „dass diese neuartigen statistischen Methoden es erlauben kontinuierliche Veränderungen der Hirnaktivität zu messen, wie sie im Verlauf des Filmes entstehen und zu erkennen welche Hirnregionen sich zu einem Netzwerk verbinden. Somit liefern sie eine viel bessere Vorstellung davon, wie unser Gehirn tatsächlich arbeitet als die Analyse von isolierten Reaktionen auf bestimmte Reize, wie sie bisher vornehmlich in der Hirnforschung angewandt wurde.“
Auch die Stressinduktion per Film ist ein neuartiger experimenteller Ansatz. Bisher wurde Stress in der Regel durch schwere Aufgabenstellungen und kombiniert mit ungerechtem, negativem Feedback induziert. „Wir denken, dass ein solcher Ansatz auch zu Stress führt, aber nicht zu einer Reaktion, wie sie in den meisten traumatischen Situationen, wie zum Beispiel bei Opfern von Verbrechen oder Unfällen relevant ist.“
Kortison oder Noradrenalin
An der Stress-Reaktionen sind zwei wichtige Hormone beteiligt: Kortison und Noradrenalin. Hermans und seine Kollegen konnten nachweisen, dass Noradrenalin die beobachtete Gehirnreorganisation in Gang bringt indem sie den Versuchspersonen Medikamente gaben, die entweder die Wirkung von Kortison oder Noradrenalin hemmen.
Hermans: „Es gibt eigentlich viel Kortison im Gehirn wenn man akutem Stress ausgesetzt ist, aber diese Reaktion ist eher langsam und trägt zur Normalisierung der Hirnaktivität bei. Im Gegensatz dazu wird Noradrenalin innerhalb von Sekunden aus einer kleinen Region im Hirnstamm, dem Locus coeruleus direkt ins gesamte Gehirn geliefert. Bisher hat man sich in der einschlägigen Forschung im Wesentlichen auf die Rolle von Kortison konzentriert, aber wir zeigen, dass in einer frühen Phase der Stressreaktion Noradrenalin viel wichtiger ist.“
Diese neuen Befunde sind besonders relevant, wenn man die negativen psychologischen Folgen traumatischer Erlebnisse neurobiologisch verstehen und behandeln möchte. (Science, 2011)
(Radboud University Nijmegen, 28.11.2011 – DLO)