Ewige Jugend im Kältegefängnis: Wenn Bärtierchen als Schutz vor Kälte ihren Stoffwechsel pausieren lassen, bleibt auch ihre Lebensuhr stehen – sie altern in diesem kältebedingten Überdauerungszustand nicht weiter, wie nun Experimente belegen. Dies bestätigt die Dornröschen-Hypothese, nach der die sogenannte Kryptobiose der Tardigraden ihre Alterung stoppt – egal ob sie diesen Zustand wegen Hitze, Trockenheit oder Kälte einnehmen.
Bärtierchen mögen mit ihrer Größe von nur knapp einem Millimeter unscheinbar wirken, aber in ihnen stecken wahre Superkräfte, wenn es ums Überleben geht. So beobachteten Forschende bereits, wie zwei Tardigraden und ein Ei nach 30 Jahren im Eis wieder aus ihrem Dornröschen-Schlaf erwachten und sich sogar problemlos fortpflanzen konnten. Extremsituationen wie diese überstehen die Tiere, indem sie in einen Ruhezustand fallen, in dem sie keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr von sich geben.
Überleben in Extremen
Bei extremer Hitze oder Trockenheit fahren Bärtierchen ihren Stoffwechsel fast komplett herunter. Dadurch können ihre Körper einen Großteil ihres Wassers verlieren, ohne Schaden davonzutragen. Diese Strategie nennen Wissenschaftler Kryptobiose. Dass Bärtierchen in diesem getrockneten Zustand nicht weiter altern und lange Zeit überdauern können, konnten Wissenschaftler um Ralph Schill von der Universität Stuttgart bereits nachweisen.
Dank der Kryptobiose „können Bärtierchen, die ohne Ruheperioden normalerweise nur wenige Monate leben, viele Jahre und Jahrzehnte alt werden“, erklärt Schill, der auch an den neuesten Experimenten zu gefrorenen Bärtierchen beteiligt war. Unklar war jedoch bisher, ob dies auch für den Überdauerungszustand der Tardigraden im umgekehrten Extrem der Fall war: beim kältebedingten Ruhezustand, der Cryobiose.
Einfrieren und auftauen
Um herauszufinden, wie gefrorene Tardigraden altern, haben Schill, Erstautorin Jessica Sieger von der Universität Stuttgart und ihre Kollegen über 500 Bärtierchen der Art Milnesium inceptum bei minus 30 Grad eingefroren, wieder aufgetaut, gezählt, gefüttert und wieder eingefroren. Dieses Schema wiederholten sie so lange, bis alle Tiere das Ende ihrer Lebensspanne erreicht hatten und gestorben waren. Eine Kontrollgruppe lebte in der Zwischenzeit bei konstanter Raumtemperatur.
Es zeigte sich: Lässt man die Zeit außen vor, in der die Tiere gefroren waren, lebten beide Tardigradengruppen nahezu gleich lang. Das älteste Bärtierchen in den gefrorenen Gruppen überlebte 94 Tage, während das älteste Tier der Kontrollgruppe nach 93 Tagen starb. Daraus schlussfolgern die Wissenschaftler, dass Bärtierchen auch im gefrorenen Zustand ihre innere Uhr anhalten und infolgedessen während dieser frostigen Ruhephasen nicht altern.
„Dornröschen-Hypothese“ auch für Kälte bestätigt
Die kleinen, pummeligen Tardigraden machen es demnach wie Dornröschen, die im Märchen nach 100 Jahre langem Schlaf unverändert jung und schön wieder erwachte. Nach dieser Märchenfigur ist auch die gleichnamige Dornröschen-Hypothese benannt, die genau diesen Effekt zunächst für das Trocknen der Bärtierchen und danach für deren Einfrieren vorhersagte. Mit der Studie von Sieger und ihrem Team hat sich diese Hypothese nun ein weiteres Mal bestätigt. (Journal of Zoology, 2022; doi: 10.1111/jzo.13018)
Quelle: Universität Stuttgart