Biologie

Gegenmaßnahmen machen Algenblüten giftiger

Verringerung des Phosphoreintrags begünstigt Giftproduktion der Cyanobakterien

Cyanobakterien
Massenvermehrungen von Blaualgen wie hier der giftigen Microcystis-Cyanobakterien, werden immer häufiger. © Colleen Yancey

Paradoxer Effekt: Die Bekämpfung giftiger Blaualgen kann Seen noch giftiger machen. Denn wenn man den Phosphorgehalt des Seewassers verringert, um den Cyanobakterien die Nährstoffe zu entziehen, begünstigt dies das Wachstum besonders giftiger Arten, wie eine Studie enthüllt. Solange nicht auch die Stickstoffzufuhr reduziert wird, bringen die gängigen Maßnahmen demnach nichts – oder machen die Lage sogar noch schlimmer. Ein Umdenken beim Management von Binnengewässern sei dringend nötig, so Forscher im Fachmagazin „Science“.

Cyanobakterien waren die ersten Lebewesen, die Photosynthese in großem Stil betrieben und die die Atmosphäre der Urerde mit Sauerstoff anreicherten. Damit schufen erst sie die Voraussetzung für alles tierische Leben. Doch heute werden die auch als Blaualgen bezeichneten Cyanobakterien in vielen Gewässern zum Problem: Begünstigt durch den Klimawandel kommt es in Seen weltweit immer häufiger zu Massenvermehrungen giftiger Cyanobakterien, durch die Fische, Muscheln und auch Säugetiere sterben können.

Cyaanobakterien
Cyanobakterien der Gattung Microcystis, hier im Eriesee, produzieren ein potentes Gift.© Derek Smith

Im Sommer 2014 sorgte eine Massenvermehrung von Blaualgen der Gattung Microcystis im Eriesee sogar dafür, dass eine halbe Million Einwohner der US-Stadt Toledo ihr Leitungswasser weder trinken noch es zum duschen oder waschen nutzen durften – es enthielt potenziell tödliche Dosen des leberschädlichen Algengifts Microcystin.

Cyanobakterien in agentenbasierter Simulation

Als eine Ursache für solche Blaualgenblüten gilt neben der zunehmenden Erwärmung des Wassers die Überdüngung der Gewässer – vor allem mit dem wichtigen Pflanzennährstoff Phosphor. „Weniger Phosphor im Wasser reduziert die Masse an Blaualgen und damit auch die Menge an Gift, das war die einfache Formel beim Gewässermanagement“, erklärt Erstautor Ferdi Hellweger von der Technischen Universität Berlin. Die Senkung des Phosphorgehalts galt daher als wichtigste Maßnahme zur Sanierung von Seen und zur Bekämpfung on Blaualgenblüten.

Doch genau diese Maßnahme kann Seen sogar giftiger machen, statt die Gefahr zu verringern, wie nun Hellweger und sein Team herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie auf Basis von Daten zur Entwicklung verschiedener Cyanobakterienarten im Eriesee eine sogenannte agentenbasierte Simulation durchgeführt. Bei dieser untersuchten sie, wie sich die giftproduzierenden Microcystis-Arten und ihre Giftproduktion unter dem Einfluss verschiedener Maßnahmen verändern.

Weniger Algen, aber mehr Gift

Das überraschende Ergebnis: Durch die Phosphorreduktion nahm zwar die Menge der Cyanobakterien im See ab, nicht aber die des giftigen Microcystins – im Gegenteil. Das Seewasser wurde sogar noch giftiger. Denn durch diese Maßnahme konnten sich ausgerechnet die Cyanobakterienstämme besser vermehren, die besonders viel von dem Gift erzeugten.

Dieser paradoxe Trend hat mehrere Gründe, wie das Team ermittelte. Zum einen verstärkt eine ausgedünnte Algendecke den Lichteinfall und aktiviert dadurch das Gen zur Bildung des Microcystins in den Cyanobakterien. Zudem werden bei stärkerem Lichteinfall die Cyanobakterien begünstigt, die besonders viel von dem giftigen Microcystin produzieren. „Microcystin ist zwar für Menschen und Tiere ein starkes Gift, für Cyanobakterien aber hat es einen großen Vorteil“, sagt Hellweger. Denn das Molekül schützt sie vor lichtinduzierten Reaktionen, durch die unter anderem das aggressive Wasserstoffperoxid entstehen kann.

Und noch einen Grund gibt es: „Wenn weniger Blaualgen vorhanden sind, müssen sie auch weniger um die anderen Nährstoffe konkurrieren, wovon der wichtigste der ebenfalls nur begrenzt vorhandene Stickstoff ist“, so Hellweger. „Und Stickstoff wiederum ist ein wichtiger Baustein für das Microcystin-Molekül.“

Maßnahmen wohlgemeint, aber kontraproduktiv

Wird daher zur Bekämpfung der Blaualgenblüten nur der Phosphoreintrag in ein Gewässer reduziert, erreicht man unter Umständen das Gegenteil des eigentlich Gewünschten: Der See wird giftiger statt verträglicher. „Diese Erkenntnis bedeutet einen wirklichen Wendepunkt für das Management von Gewässern“, konstatiert Hellweger. Denn die bisher gängige Praxis sei kontraproduktiv – sowohl unter den jetzigen Bedingungen als auch bei fortschreitendem Klimawandel.

“Die Gesundheit von Seen wird durch Maßnahmen gefährdet, die zwar wohlgemeint sind, aber auf einem unvollständigen Verständnis der Biologie und Biochemie von Microcystis-Cyanobakteiren beruhen“, schreibt das Forschungsteam. Möglicherweise seien die aktuell immer häufiger und stärker werdenden Blaualgenblüten in vielen Seen in Teilen auch eine Folge der Verringerung der Phosphoreinträge in den letzten Jahrzehnten.

„Will man die Giftstoffe von Blaualgen reduzieren, muss man nicht nur den Eintrag von Phosphor in die Seen verringern, sondern auch von Stickstoff, der ebenfalls in der Landwirtschaft in großen Mengen als Dünger verwendet wird“, sagt Hellweger. Denn wie die Modellsimulationen ergaben, bremst die Verringerung des Stickstoffgehalts die Microcystin-Produktion, weil den Blaualgen dann dieser Rohstoff für die Giftproduktion ausgeht. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abm6791)

Quelle: Technische Universität Berlin

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