Gegen sie hilft kein Waschen oder Peeling: In den Poren unserer Haut leben winzige Milben, die sich von unserem Hauttalg ernähren und die Follikel so „ausputzen“. Jetzt enthüllt eine DNA-Studie, dass sich diese Mitbewohner schon so stark an uns angepasst haben, dass sie von uns abhängig sind: Außerhalb unserer Haut sind sie vermutlich nicht mehr überlebensfähig. Die Studie enthüllt auch, wie sich diese Milben vermehren und woher wir sie haben.
Sie sind unsichtbar, harmlos und doch fast allgegenwärtig: Gut 90 Prozent der Menschen tragen in den Follikeln ihrer Haut wurmähnlich, langgestreckte Milben mit sich herum. Die nur 0,1 bis 0,4 Millimeter kleine Haarbalgmilbe Demodex folliculorum sitzt knapp unter der Hautoberfläche in den Haarfollikeln. Besonders zahlreich sind die Milben in der Gesichtshaut, im Ohr und an den Brustwarzen. Sie ernähren sich dort vom Talg und rühren sich tagsüber nicht aus ihren engen, warmen Behausungen.
Unseren achtbeinigen Mitbewohnern auf der Spur
Jetzt enthüllt eine erste umfassende DNA-Analyse mehr zur Lebensweise, Genetik und Evolution dieser winzigen Mitbewohner des Menschen – und liefert einige Überraschungen. Für ihre Studie hatten Gilbert Smith von der Bangor University in Wales und seine Kollegen das Erbgut von 250 auf verschiedenen Testpersonen gefundenen Demodex-Milben sequenziert und verglichen. Ziel war es unter anderem festzustellen, ob und wie stark diese Milben schon von uns abhängig geworden sind.
Einer erste Überraschung war die Art der Übertragung: „Eigentlich erwartet man, dass ein Parasit primär horizontal übertragen wird“, erklären Smith und sein Team. Im Fall der Haarbalgmilbe bedeutet dies, dass sie über engen Kontakt zu Mitmenschen in Familie und Partnerschaft weitergegeben werden müsste. Doch die Analyse der mitochondrialen DNA der Milben enthüllte, dass dies nicht stimmt.
Von der Mutter übertragen, lebenslange Begleiter
Stattdessen erben wir unsere Milben nur von unserer Mutter: Beim Stillen gelangen die ersten achtbeinigen Besiedler von der Mutterbrust auf die Haut des Säuglings und werden so zu Gründern unserer persönlichen Milbenpopulation. „Frauen und Männer, die im selben Haushalt leben, tragen daher verschiedenen Milbenlinien“, erklären die Forschenden. „Zwar schließen unsere Ergebnisse eine horizontale Übertragung von Demodex nicht aus, sie zeigen aber, dass die Übertragung zurzeit vorwiegend vertikal verläuft.“
Einmal auf uns etabliert, bleiben uns unsere persönlichen Milben das gesamte Leben lang erhalten und verlassen unserer Haut nicht mehr. Sie wohnen auf uns, fressen unsere Sekrete und pflanzen sich auf uns fort. „Angesichts eines Lebenszyklus von rund drei Wochen und einer durchschnittlichen Lebenserwartung des Menschen von 72,6 Jahren, durchlaufen die Milben 1.262 Generationen bevor sie dann mit uns sterben“, erklären Smith und seine Kollegen.
Extrem verkleinertes Genom
Diese enge Anpassung an das Leben auf uns hat tiefgreifende Folgen für die Haarbalgmilben, wie die DNA-Analysen enthüllten. „Aufgrund dieser engen und dauerhaften Verbindung zum Menschen hat die Milbe enorm an Größe und zahlreiche Gene verloren“, erklärt Koautor Alejandro Manzano Marin von der Universität Wien. Das Erbgut von Demodex ist mit nur 51,6 Millionen Basenpaaren das zweitkleinste unter den Arthropoden. Kein anderes Insekt oder Spinnentier hat so wenige proteinkodierende Gene.
Der Grund dafür ist die für Parasiten typische Sparsamkeit: Weil ihr Wirt viele Aufgaben für sie übernimmt, verlieren sie im Laufe der Evolution viele Funktionen und Gene, die sie für ein unabhängiges Lebens bräuchten. Die Demodex-Milbe hat 28 Genfamilien stark reduziert und 27 wichtige Gene komplett eingespart, darunter Gene für den UV-Schutz und bestimmte Mechanismen der DNA-Reparatur.
Skurril auch: Die Haarbalgmilbe hat eines der zentralen Gene der inneren Uhr verloren. Um herauszufinden, wann es Nacht ist und sie auf Brautschau gehen kann, erspürt sie einfach, wann wir Menschen das Schlafhormon Melatonin ausschütten.
Weniger Zellen als jeder andere Arthropode
Ebenfalls extrem verringert hat die Haarbalgmilbe die Zahl ihrer Zellen – auch das ein typisches Merkmal von Parasiten. „Wenn freilebende Tiere zu Endoparasiten werden, reduzieren sie die Zahl der Zellen in ihrem Körper“, erklären Smith und sein Team. Bei Demodex sei die Zellzahl im Vergleich zu der Taufliege Drosophila melanogaster um das mehr als 500-Fache verringert. Kein anderer Arthropode habe eine so geringe Zellzahl.
Damit einher geht beispielsweise eine extreme Reduktion der Beinsegmente und ihrer Zellen: Jedes Segment der nur 15 Mikrometer kurzen Milbenbeinchen wird von nur einer großen Muskelzelle bewegt. „Diese dreizelligen Beine sind zeigen ein Maximum an Zellgröße bei sich nicht länger teilenden Körperzellen“, schreiben die Forschenden. Überraschenderweise haben die Demodex-Milben diese geringe Zellzahl aber nicht schon von Geburt an, sondern reduzieren sie erst im Verlauf ihrer Entwicklung von der Larve über die Nymphe zum Adulten.
Anders als bisher gedacht, geht die Einsparung aber nicht so weit, dass die Milben keinen After mehr haben: „Einige Forscher waren bisher davon ausgegangen, dass die Milben keinen Anus haben und daher im Laufe ihres Lebens ihren gesamten Kot ansammeln müssen, bevor sie ihn beim Absterben freisetzen und dadurch Hautentzündungen verursachen“, sagt Marin. „Unsere Studie bestätigte jedoch, dass sie doch einen After haben und daher zu Unrecht für viele Hautkrankheiten verantwortlich gemacht werden.“
Evolutionäre Sackgasse
So praktisch all diese Einsparungen auch scheinen – für die Haarbalggilbe könnten sie zur fatalen Sackgasse werden. Denn sie hat sich inzwischen so stark an das Leben auf und in uns angepasst, dass sie ohne uns kaum noch lebensfähig ist. Hinzu kommt, dass sich unsere persönliche Milbenpopulation aus jeweils nur wenigen Gründungstieren entwickelt – und daher stark von Inzucht geprägt ist. „Die Inzucht hat eine Anhäufung schädlicher Mutationen zur Folge“, erklärt Manzano Marin.
„Vor allem der Verlust von DNA-Reparaturgenen gekoppelt mit starker Inzucht könnte diese Milbenart auf den Weg in eine evolutionäre Sackgasse gebracht haben“, konstatieren Smith und seine Kollegen. Im Extremfall könnte dies irgendwann zum Aussterben der Demodex-Milben führen. (Molecular Biology and Evolution, 2022; doi: 10.1093/molbev/msac125)
Quelle: Universität Wien, University of Reading