Neurobiologie

Gehirn hat eigene Areale fürs Addieren und Subtrahieren

"Mathe-Neurone" im Gehirn feuern spezifisch je nach Art der Rechenaufgabe

Gehirn
Addieren und Subtrahieren werden in unserem Gehirn von jeweils speziellen Neuronen übernommen. © metamorworks/ Getty images

Ob Plus oder Minus macht für unser Gehirn einen Unterschied. Denn je nach Rechenoperation werden in unserem Denkorgan andere, jeweils spezifische Areale aktiv – unabhängig davon, ob wir mit Zahlen oder Textaufgaben rechnen, wie Forschende herausgefunden haben. Hirnzellen im Hippocampus sind dabei entweder aufs Addieren oder Subtrahieren spezialisiert, während Neuronen in einem benachbarten Bereich sich ihre Arbeit dynamisch teilen.

Das Rechnen und abstrakte mathematische Denken gehört zu den einzigartig menschlichen Fähigkeiten. Unser Gehirn hat dafür sogar eigene Schaltkreise und Areale entwickelt – unter anderem für das Erkennen von Zahlengrößen oder für die Verarbeitung der Zahl Null. Sogar Zählneuronen haben Wissenschaftler schon identifiziert. Bei Mathematikern springt zudem ein ganz spezielles Netzwerk an, wenn sie über höhere Mathematik nachdenken.

Blick in den rechnenden Schläfenlappen

Jetzt zeigt sich eine weitere Spezialisierung unseres Gehirns auf die Mathematik: Unser Gehirn hat sogar eigene Areale für die Rechenoperationen Addition und Subtraktion, wie Esther Kutter von der Universität Bonn und ihre Kollegen entdeckt haben. Für ihre Studie hatten sie die Chance genutzt, neun Epilepsiepatienten mithilfe der ihnen zu Diagnosezwecken eingepflanzten Elektroden ins Gehirn zu blicken. Damit war es möglich, sogar die Aktivität einzelner Gehirnzellen zu messen.

Im Fokus stand die Aktivität von 258 Neuronen im medialen Schläfenlappen. In diesem Hirnbereich liegen unter anderem der Hippocampus und der parahippocamale Cortex – Areale, die für das Gedächtnis und Lernen wichtig sind. Dort befinden sich aber auch die Neuronen, die auf bestimmte Zahlengrößen reagieren. Für ihre Studie haben die Forschenden daher untersucht, welche Neuronen reagieren, wenn die Testpersonen einfache Additions- und Subtraktionsaufgaben lösten – sowohl in Zahlen, wie in Symbol oder Textform.

Additions- und Subtraktions-Neuronen

Es zeigte sich: Eine kleine, aber signifikante Gruppe von Neuronen feuerte nur bei jeweils bestimmten Rechenaufgaben – entweder beim Addieren oder aber beim Subtrahieren. „Wenn die Versuchspersonen zum Beispiel die Aufgabe ‚5 und 3‘ rechnen mussten, sprangen bei ihnen die Additions-Neuronen an. Bei ‚7 weniger 4‘ dagegen die Subtraktions-Nervenzellen“, berichtet Kutter. Diese spezifische Reaktion war in beiden Hirnhälften in den gleichen Arealen angesiedelt.

Interessant auch: Das Feuern der Additions- oder Subtraktions-Neuronen geschah unabhängig davon, in welcher Form die Rechenaufgabe gestellt wurde: „Auch wenn wir die mathematischen Symbole durch Wörter ersetzten, blieb der Effekt derselbe“, erklärt Kutter. Die Forschenden schließen daraus, dass diese Neuronen eine mathematische Handlungsanweisung kodieren, egal in welcher Form diese gegeben wird.

Die Zuordnung der Neuronenaktivität zu den Rechenaufgaben war so klar erkennbar, dass ein darauf trainierter Algorithmus allein anhand der Hirnaktivität der Testpersonen erkennen konnte, ob sie gerade Zahlen addierten oder subtrahierten.

Statische und dynamische Arbeitsteilung

Die rechnenden Hirnzellen verteilen sich auf zwei mit dem Lernen und Gedächtnis assoziierte Hirnbereiche, den Hippocampus und den parahippocampalen Cortex. In beiden konnte das Forschungsteam Additions- und Subtraktions-Neuronengruppen identifizieren. Allerdings gibt es dabei einen Unterschied: Im Hippocampus scheint die Zuordnung der Hirnzellen zu den Matheaufgaben fest: Bei Additionen feuern immer dieselben Neuronen, bei der Subtraktion werden immer dieselben anderen Areale aktiv.

Anders ist dies jedoch im parahippocampalen Cortex: Auch dort gibt es zwar Nervenzellen, die spezifisch bei Additionen oder Subtraktionen feuern. Sie lösen sich aber dynamisch in ihrer Arbeit ab: Beim Summieren während ein- und derselben Rechenaufgabe werden abwechselnd unterschiedliche Additions-Neurone aktiv, wie die Messungen zeigten. Ähnliches beobachteten die Forschenden beim Subtrahieren.

Genaue Abläufe müssen noch untersucht werden

Kutter und ihre Kollegen führen dies darauf zurück, dass die Mathe-Neuronen im Hippocampus und im parahippocampalen Cortex etwas unterschiedliche Aspekte des Rechnens übernehmen: „Der parahippocampalen Cortex könnte eine Art Kurzzeitgedächtnis für die arithmetische Regel repräsentieren, der dahinter folgende Hippocampus übernimmt dann das eigentliche Rechnen und verarbeitet die Zahlen anhand dieser Regeln“, erklärt das Team.

Ob dies tatsächlich so ist und welche Rollen die einzelnen Neuronen beim Rechnen genau übernehmen, wollen die Wissenschaftler nun in weiteren Untersuchungen klären. Schon jetzt aber seien die neuen Erkenntnisse ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der menschlichen Rechenfähigkeit. (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.01.054)

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Krebszellen und NA-Ring

"Geheimwaffe" hartnäckiger Krebszellen enthüllt

Energierekord für kosmische Elektronen

ChatGPT: Wie die Nutzersprache die Infos verändert

Explosiver Samenauswurf bei Spritzgurken

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Darf ich Zahlen? - Geschichten aus der Mathematik von Günter M. Ziegler

Die Musik der Primzahlen - Auf den Spuren des größten Rätsels der Mathematik von Marcus du Sautoy

Top-Clicks der Woche