Das HI-Virus – der Auslöser der Immunschwäche-Krankheit AIDS – infiziert nicht nur bestimmte Zellen des Immunsystems, sondern häufig auch das zentrale Nervensystem der Patienten. Welche Zelltypen dort von dem Erreger befallen werden und dann anschließend intakte Viren herstellen und freisetzen war bisher noch nicht endgültig geklärt. Eine in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift AIDS erschienene Studie deutscher Wissenschaftler hat jetzt Licht in das Dunkel gebracht.
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„Unsere Daten deuten darauf hin, dass neurale Vorläuferzellen zum HIV-Reservoir im Gehirn beitragen können und eine persistente Infektion mit HIV-1 Veränderungen in diesen Zellen hervorruft“, fasst Professorin Dr. Ruth Brack-Werner vom Institut für Virologie des Helmholtz Zentrums München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, die Ergebnisse zusammen, die ihr Team ermittelt hat. Die Resultate seien zwar in Zellkulturen gewonnen, es gäbe aber zahlreiche Hinweise dafür, dass im Gehirn ähnliche Vorgänge ablaufen.
Infektion mit schlimmen Folgen
Schon kurz nach der HIV-Infektion können Erreger in Gehirnzellen eindringen und dann dort lebenslang überdauern. Mehr als die Hälfte der HIV-Infizierten leidet daher an langsam fortschreitenden neurologischen Störungen, die sich bis zu einer schweren Demenz entwickeln können. Die genauen Mechanismen, die zum Krankheitsverlauf durch HI-Viren führen, sind allerdings noch weitgehend unverstanden.
Brack-Werner und ihr Team haben bereits in früheren Untersuchungen festgestellt, dass HI-Viren im Gehirn neben Makrophagen und Mikrogliazellen vor allem Astrozyten infizieren. Astrozyten sind der häufigste Zelltyp im Gehirn und erfüllen grundlegende Funktionen beim Schutz und Stoffwechsel des zentralen Nervensystems. HIV-infizierte Astrozyten produzieren normalerweise nur extrem wenig intakte und damit infektiöse Viruspartikel, durch äußere Einflüsse können sie aber zu einer aktiven Virusproduktion angeregt werden. Die neu gebildeten Viren können dann weitere Zellen – auch solche des Immunsystems – infizieren.
Astrozyten tolerieren also eine chronische Langzeit-Infektion mit HIV-1 und bilden so ein Reservoir, aus dem HI-Viren immer wieder nachgeliefert werden können. Ob dies auch für andere neurale Zelltypen zutrifft, war bislang unklar. In ihrer neuen Studie konnten nun Ina Rothenaigner und Kollegen aus der Arbeitsgruppe von Brack-Werner zeigen, dass im Gehirn auch neurale Vorläuferzellen als HIV-1-Reservoir dienen. Diese Vorläuferzellen können sich zu allen Gehirn-Zelltypen differenzieren und besitzen somit eine sehr wichtige Funktion bei Selbstheilungsprozessen im Gehirn.
Als Ausgangsmaterial für die Zellkulturstudien dienten den Wissenschaftlern multipotente menschliche neurale Stammzellen, die unbegrenzt in Kultur gehalten werden können. Durch Zugabe eines bestimmten Wachstumsfaktors lassen sich diese neuralen Vorläuferzellen zu Astrozyten differenzieren. Die Reaktionen beider Zelltypen auf eine Infektion mit HIV-1 können daher gut miteinander verglichen werden.
Chronische Infektion nachgewiesen
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass HIV-1 in neuralen Vorläuferzellen über lange Zeiträume persistieren kann: Provirale HIV DNA-Sequenzen waren über die gesamte Beobachtungszeit nach der Infektion – 115 Tage – in den Zellen nachweisbar und intakte Viren wurden, wenn auch in geringen Mengen, noch nach mehr als 60 Tagen freigesetzt. Die Bauanleitungen für bestimmte Proteine – Nef, Tat und Rev – waren nach den Ergebnissen der Forscher sogar noch länger nachzuweisen. Damit war klar, dass HIV-1 auch neurale Vorläuferzellen chronisch infizieren kann und dort – ähnlich wie in Astrozyten – funktionelle Viren hergestellt werden.
Die anhaltende Infektion mit HI-Viren verursachte eine Reihe von biologischen Veränderungen in den neuralen Vorläuferzellen, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift AIDS: So änderte sich beispielsweise das Expressionsniveau bestimmter Proteine und auch die Morphologie der Zellen.
In künftigen Arbeiten wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob und wie die HIV-Infektion die Fähigkeit von neuralen Vorläuferzellen zur Wanderung, Vermehrung und Differenzierung beeinflusst und welche Stoffwechselwege daran beteiligt sind. Möglicherweise, so hoffen die Forscher, lassen sich mit diesem Wissen Strategien entwickeln, mit denen die schädlichen Wirkungen der HI-Viren auf das Gehirn verhindert werden können.
(idw – Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, 28.02.2008 – DLO)