Neurobiologie

Gehirn von legasthenischen Kindern tickt anders

Unterschiede in der neuronalen Aktivität könnten Früherkennung verbessern

Kinder mit Legasthenie haben bereits vor dem Beginn des Lesenlernens veränderte Gehirnfunktionen. Zwei Gehirnareale, in denen unter anderem gehörte Worte verarbeitet werden, sind bei diesen Kindern weniger aktiv als normal. Das zeigt, dass diese Veränderungen nicht erst durch die Probleme beim Lesenlernen entstünden, wie zuvor teilweise angenommen. Stattdessen deute alles daraufhin, dass sich die Unterschiede im Verhalten und in der Verarbeitung von Sprache bei diesen Kindern bereits in den ersten Lebensjahren entwickelten.

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Möglicherweise seien sie sogar angeboren, berichten US-amerikanische Forscherinnen im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Diese Erkenntnis könne dabei helfen, betroffene Kinder früher als bisher zu erkennen und gezielt zu fördern.

Neuronales Netzwerk gestört

Unter der auch als Legasthenie bezeichneten Lese-Rechtschreibschwäche leiden rund fünf bis 17 Prozent aller Kinder. Sie haben Schwierigkeiten, gesprochene Wörter korrekt zu erkennen und lernen nur schwer fehlerfrei zu lesen und schreiben. Oft tritt die Legasthenie in Familien gehäuft auf. Man wisse, dass bei legasthenischen Kindern meist ein neuronales Netzwerk in der hinteren linken Gehirnhälfte gestört sei, sagen die Forscherinnen. Dieses Netzwerk sei entscheidend am Lesen und an verwandten Fähigkeiten wie dem Verstehen von Wörtern beteiligt.

„Bisher war aber unklar, ob diese charakteristische Unterfunktion schon vor Beginn des Lesenlernens existiert, oder ob sie erst als Folge der Leseprobleme entsteht“, schreiben Nora Maria Raschle von der Harvard Medical School in Boston und ihre Kolleginnen. Jetzt habe sich gezeigt, dass diese Gehirnveränderungen bei familiär vorbelasteten Kindern bereits mit fünf Jahren, vor Beginn des Lesenlernens, nachweisbar seien.

Legasthenie bald früher diagnostizierbar?

Nach Ansicht der Forscher liefern die neuen Erkenntnisse erste Ansatzpunkte, wie man die Legasthenie bei Kindern zukünftig früher als bisher diagnostizieren könnte. „Die frühe Identifizierung der Leseschwäche bietet eine Chance, um früh mit Fördermaßnahmen zu beginnen“, sagen die Forscher. Dann ließen sich die Fehlfunktionen im Gehirn vermutlich noch ausgleichen und man könne so den Kindern später schwerwiegende psychologische und soziale Probleme ersparen.

Kinder vor dem Lesenlernen untersucht

Für ihre Studie hatten die Forscher die Gehirnaktivität von 36 fünf bis sechsjährigen Kindern untersucht, die noch nicht mit dem Lesenlernen begonnen hatten. Eine Hälfte der Kinder stammte aus Familien, in denen es bereits mehrere Legastheniker gab, die andere nicht. Alle Kinder schnitten in Tests ihrer Intelligenz und ihrer sprachlichen Fähigkeiten etwa gleich gut ab.

Die Forscher spielten den Kindern jeweils ein Paar ähnlich klingender Wörter vor. Die Kinder sollten anschließend entscheiden, ob beide Wörter mit einem ähnlichen Laut begannen oder nicht. Während des Versuchs maßen die Wissenschaftler die Gehirnaktivität der Kinder mittels funktioneller Resonanztomografie (fMRT). Dieses Verfahren erlaubt es, besonders gut durchblutete und damit auch besonders aktive Gehirnareale sichtbar zu machen.

Hirnscans liefern weitere Erkenntnis

Die Hirnscans lieferten noch eine weitere Erkenntnis: Eine später bei Legasthenikern typischerweise überaktive Region im Vorderhirn reagierte bei allen Kindern noch normal. Das deute daraufhin, dass dieser Gehirnbereich erst beim Lesenlernen damit beginne, die Defizite in den Leseschaltkreisen von Legasthenikern teilweise auszugleichen, meinen die Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2012; doi: 10.1073/pnas.1107721109)

(Proceedings of the National Academy of Sciences / dapd, 24.01.2012 – NPO)

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