Langlebigkeits-Gen: Bei Menschen in einer isoliert lebenden amischen Gemeinde in den USA haben Forscher das Geheimnis eines langen Lebens entdeckt. Eine bestimmte Genvariante sorgt bei manchen Amischen dafür, dass sie erstaunlich alt werden. Offenbar entschleunigt die Mutation den Prozess der Zellalterung, wie das Team berichtet. Mediziner wittern nun neue Möglichkeiten, ähnliche Effekte auch mit Medikamenten zu erzielen.
Dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und ewig zu leben ist wohl einer der größten Träume der Menschheit. Wissenschaftler versuchen seit Jahrzehnten jenen Prozess zu entschlüsseln, der uns diesen Traum bislang verwehrt: das Altern. Dieser unweigerlich mit dem Leben verbundene Vorgang hängt unter anderem damit zusammen, dass unsere Körperzellen eine Art inneres Zählwerk besitzen, das ihre Lebensdauer begrenzt.
Denn jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt, verlieren die in ihr liegenden Chromosomen einen Teil ihrer schützenden Kappen – der sogenannten Telomere. Wenn die Telomere nach vielen Zellteilungen irgendwann eine bestimmte Länge unterschreiten, kann sich die Zelle nicht mehr teilen. Sie wächst nicht mehr oder stirbt ganz ab. Man spricht dann von zellulärer Seneszenz. Wie schnell dieser Prozess voranschreitet, hängt von vielen Faktoren ab. Dank mehr und besserer Nahrung, der Entwicklung von Antibiotika und weniger körperlich schwerer Arbeit leben wir heute bereits immer länger.
Amischen ins Genom geblickt
Doch auch die Gene bestimmen wesentlich darüber mit, wie schnell wir altern. Wissenschaftler um Sadiya Khan von der Northwestern University in Chicago haben nun eine Genvariante entdeckt, die Langlebigkeit zu fördern scheint. Gefunden haben sie diese Mutation bei einer Gruppe von Amischen – Nachfahren schweizerischer Einwanderer, die in der kleinen Gemeinde Berne im US-Bundesstaat Indiana leben. Fast alle Amischen aus dieser Gemeinde sind zumindest entfernt miteinander verwandt und seit Jahren weitestgehend isoliert von fremden genetischen Einflüssen.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher das Erbgut von 177 amischen Probanden. Dabei zeigte sich: 43 dieser Studienteilnehmer waren Träger einer speziellen Variante des Gens SERPINE1. Dieses Gen produziert ein Protein namens PAI-1, das eine Rolle für die Zellalterung zu spielen scheint und von alternden Zellen vermehrt exprimiert wird. Ein Fehler in dieser speziellen Variante des Gens sorgt jedoch dafür, dass weniger dieser offenbar das Altern fördernden Substanz produziert wird.
Zehn Jahre längeres Leben
Mit durchschlagendem Effekt, wie sich zeigte: Bei betroffenen Personen waren die schützenden Kappen an den Chromosomenenden im Schnitt rund zehn Prozent länger als bei Probanden ohne diese Genvariante. Das innere Zählwerk ihrer Zellen läuft offenbar anders – als Folge altern sie langsamer. Tatsächlich offenbarte eine Recherche in der Familiengeschichte der Probanden: Träger der Genvariante leben rund zehn Jahre länger. Sie sterben im Schnitt im Alter von 85, ihre Weggefährten ohne das Langlebigkeits-Gen dagegen bereits mit 75 Jahren.
Doch die genetisch gesegneten Amischen leben nicht einfach nur länger. Sie leben auch länger gesünder, wie die Wissenschaftler berichten. Demnach haben sie unter anderem bessere Insulinwerte. Und das macht sie weniger anfällig für Diabetes. So entwickelte kein einziger der Probanden mit der Genvariante die Zuckerkrankheit. Von den Personen ohne diese Auffälligkeit im Erbgut erkrankten immerhin sieben Prozent daran.
Rezept für Langlebigkeit?
Pech für den Rest der Menschheit: Die Genvariante, die sich bei den Amischen in Berne vor rund sechs Generationen entwickelt hat, gibt es bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe auf der Erde. Auch amische Menschen außerhalb dieser Gemeinde tragen diese Mutation für ein langes Leben nicht, wie Mitautor Douglas Vaughan betont: „Es ist sozusagen eine private Mutation.“
Die Wissenschaftler forschen nun jedoch bereits an Medikamenten, die einen ähnlichen Effekt wie das Langlebigkeits-Gen haben: Mittel, die das Protein PAI-1 in seiner Funktion blockieren und dadurch Alterungsprozesse aufhalten sollen. Erprobt wird beispielsweise eine Substanz gegen altersbedingten Haarausfall. Ob sich daraus eines Tages das lang ersehnte Rezept für ein langes Leben ergibt, bleibt abzuwarten. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.aao1617)
(Science Advances/ Northwestern University, 16.11.2017 – DAL)