In der Fachzeitschrift „Nature“ haben Forscher des internationalen 1.000 Genome-Projekts die bislang umfangreichste Karte der genetischen Unterschiede beim Menschen veröffentlicht. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese etwa 95 Prozent der genetischen Varianten weltweit enthält.
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Kleine genetische Unterschiede zwischen einzelnen Menschen helfen zu erklären, warum einige Menschen eher an Krankheiten wie Diabetes oder Krebs erkranken können als andere. Bislang war die Aufdeckung von Krankheitsursachen nur möglich, indem mehrere Millionen genetischer Unterschiede in Tausenden von Patienten abgefragt und gegen die Normalpopulation verglichen wurden.
Durch einen Quantensprung in der genetischen Technologie ist es nun möglich, durch Sequenzierung ganze Genome „Buchstabe für Buchstabe“ zu lesen. Dazu muss man aber wissen wie die normale Population mit derselben Auflösung aussieht.
Genetische Variation
Unter genetischer Variation zwischen Menschen versteht man die Unterschiede in der Anordnung der chemischen Bausteine – Basen -, aus denen das menschliche Erbmaterial zusammengesetzt ist. Diese Unterschiede können sehr klein sein und nur auf dem Austausch einzelner Basen beruhen. Sie können aber auch durch große Veränderungen wie Verdopplungen oder Umlagerungen ganzer Chromosomenregionen verursacht werden. Einige Unterschiede treten häufig in weiten Teilen der Bevölkerung auf, während andere sehr selten sind.
Das 1.000 Genome-Projekt ist ein internationales Großprojekt, das sich über mehrere Kontinente, insbesondere USA, Europa und Asien erstreckt. Wissenschaftler aus öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen und Technologiefirmen, die neue Sequenziertechnologien entwickeln und verkaufen, arbeiten darin gemeinsam daran, eine genaue Karte der genetischen Unterschiede der Menschen zu erstellen. An dem Projekt beteiligt sind auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (MPIMG) in Berlin, des EMBL in Heidelberg sowie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Ziel: Öffentliche Datenbank
Das Ziel der Wissenschaftler ist es, eine öffentliche, das heißt für jedermann zugängliche Datenbank zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe Forscher den Einfluss individueller genetischer Veränderungen auf verschiedene Erkrankungen besser einschätzen können. Dafür untersuchten die Wissenschaftler systematisch das Erbgut von Menschen aus verschiedenen Volksgruppen (Populationen). Europäer waren genauso darunter, wie Personen westafrikanischer und ostasiatischer Herkunft.
Unter Anwendung von Sequenziertechnologien der zweiten Generation sequenzierten die Forscher bislang die Genome von 179 Menschen und zusätzlich die Protein-kodierenden Gene von 697 Personen. Jeder Abschnitt der DNA wurde dabei mehrmals sequenziert, so dass insgesamt mehr als 4,5 Terabasen – das entspricht 4,5 Billionen bzw. 4.500.000.000.000 einzelnen Bausteinen – an DNA-Sequenz gelesen wurden.
„In der Pilotpase wurden am MPIMG die Genome von elf Personen untersucht“, erklärt Projektleiter Ralf Sudbrak und fügt hinzu: „Auch in der Hauptphase des Projektes werden wir mindestens fünf Prozent aller Projektdaten generieren.“
Um diese Daten verarbeiten und gemeinsam nutzen zu können, waren neben den Entwicklungen im Sequenzierbereich auch zahlreiche Innovationen im Bereich der EDV-Technik erforderlich. Dies beinhaltete auch die Entwicklung standardisierter Verfahren zur Organisation, Aufbewahrung und Analyse der entstandenen Daten.
Sequenzierung von Einzelgenomen ist effizient
„Wir konnten beweisen, dass die Sequenzierung von Einzelgenomen effizient und erfolgreich ist“, erklärt Hans Lehrach vom MPIMG. „Bei bisherigen Sequenzierprojekten wie dem Humangenomprojekt wurde das Erbmaterial mehrerer Personen vermischt, um ein sogenanntes Referenzgenom zu erzeugen. Die erhaltenen Daten geben uns Informationen über das Erbmaterial aller Menschen, Aussagen über das Genom einer bestimmten Einzelperson sind daraus jedoch nicht abzuleiten.“
Dieser neue Ansatz wird nicht nur in der Hauptphase des 1.000 Genome-Projektes fortgeführt, sondern inzwischen auch bei der Erforschung von Krankheiten angewendet. „Die rasante technologische Entwicklung, gekoppelt mit den Erfahrungen aus dem 1.000 Genome-Projekt, erlaubt Initiativen wie das von uns initiierte Treat1000-Projekt, das neue Möglichkeiten für eine personalisierte Medizin schaffen soll. Dabei sollen in den nächsten Jahren die Genome von tausend Tumorpatienten sowie das veränderte Genmaterial ihrer Tumore sequenziert werden“, so Lehrach.
15 Millionen Positionen
Die Karte der humanen genetischen Variationen, die in der ersten Phase des 1.000 Genome-Projekts erstellt wurde, enthält den Forschern zufolge 15 Millionen Positionen, an denen einzelne Basen ausgetauscht sind, eine Million kürzerer Insertions- und Deletionsveränderungen und über 20.000 strukturelle Varianten. Weniger als die Hälfte der Varianten war bereits vorher bekannt. Die Projektdatenbank umfasst mehr als 95 Prozent aller heutzutage zu messenden Varianten. Die Forscher gehen davon aus, dass sie bis zum Abschluss des Projektes 99 Prozent der Varianten identifiziert haben werden.
Die jetzt vorgelegte Karte enthält bereits einige Überraschungen. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass jeder Mensch zwischen 250 und 300 genetische Abweichungen trägt, die die normale Funktion der betroffenen Gene verhindern. Weiterhin besitzt jeder von uns zwischen 50 und 100 genetische Variationen, die mit verschiedenen Erbkrankheiten assoziiert sind. Zum Glück besitzt jeder Mensch zwei Kopien von jedem Gen. Daher bleiben wir in der Regel gesund, solange nicht auch die zweite Kopie verändert ist.
Genome von sechs Einzelpersonen im Detail analysiert
Zusätzlich zu der Untersuchung der individuellen Genvarianten haben sich die Forscher die Genome von sechs Einzelpersonen sehr genau angeschaut. Die beiden so genannten Kernfamilien bestanden aus jeweils einem Vater, einer Mutter und einer Tochter. Die Wissenschaftler fanden bei den Töchtern neue Varianten, die bei den Eltern nicht vorhanden waren. Sie gehen davon aus, dass bei jedem Menschen ungefähr 60 neue Mutationen auftreten, die bei den Eltern noch nicht vorhanden sind.
Mit dem Abschluss seiner Pilotphase ist das 1.000 Genome-Projekt nach Angaben der Wissenschaftler in die so genannte Hauptphase eingetreten. In den nächsten zwei Jahren wollen die beteiligten Gruppen insgesamt 2.500 Einzelpersonen aus 27 verschiedenen Populationen untersuchen.
(idw – Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, 28.10.2010 – DLO)