Die Forscher um Stefan Mundlos vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und der Charité-Universitätsmedizin Berlin begannen ihre Arbeit mit der Untersuchung von zwölf Patienten aus vier Mennoniten-Familien, die alle die gleichen klinischen Symptome zeigten. Bei den Mennoniten handelt es sich um eine reformierte Glaubensgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert in Friesland im Norden der Niederlande gegründet wurde. Die so genannten „Wiedertäufer“ waren im Laufe ihrer Geschichte zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt. In Folge emigrierten sie zunächst nach Polen und Russland und von dort nach Kanada und in die USA.
„Seit ihrer Entstehung bilden die Mennoniten eine relativ geschlossene Gemeinschaft, die sogar ihre eigene Sprache, das Mennoniten-Plautdietsch, beibehalten haben“, erläutert Mundlos. „Dadurch konnten sich bestimmte genetische Abweichungen, die bereits bei den Gründervätern vorhanden waren, im Laufe der Jahrhunderte durchsetzen. Solch ein founder effect entsteht nur aufgrund der geringen Anzahl an vorhandenen Merkmalen der an der Gründung beteiligten Individuen und nicht infolge unterschiedlicher Selektionsbedingungen.“
Typische Veränderung im SCYL1BP1-Gen
Bei allen zwölf mennonitischen Patienten fanden die Wissenschaftler eine identische Veränderung im SCYL1BP1-Gen. Daraufhin untersuchten die Forscher das betreffende Gen bei neun weiteren Patienten aus Deutschland, Italien, Oman, Pakistan, Libyen, Mexiko und den USA. Hier fanden sie neun unterschiedliche Mutationen, die jedoch ebenfalls alle das SCYL1BP1-Gen betrafen. Das von dem Gen kodierte SCYL1BP1-Protein war dagegen in Hautzellen der Patienten nicht nachweisbar, was auf einen kompletten Funktionsverlust des betreffenden Proteins schließen lässt.
In weitergehenden Untersuchungen gelang es den Wissenschaftlern, das SCYL1BP1-Protein als Teil des Golgi-Apparates zu identifizieren. Dabei handelt es sich um einen Membran-umschlossenen Reaktionsraum innerhalb der Zelle, den die meisten von der Zelle frei gesetzten Eiweiße passieren müssen. Auf diesem Weg werden sie verändert und so auf ihre Funktion außerhalb der Zelle vorbereitet. Die Forscher fanden heraus, dass SCYL1BP1 spezifisch mit dem Protein Rab6 interagiert, das eine zentrale Rolle bei dem Transport von Stoffen innerhalb der Zelle einnimmt.
Freie Radikale unschuldig?
Wissenschaftler gingen bislang davon aus, dass Alterungsprozesse vor allem auf Schäden der DNA zurückzuführen sind, die von besonders reaktionsfreudigen Sauerstoffmolekülen (freien Radikalen) verursacht werden. Die Ergebnisse der Berliner Forscher deuten jedoch an, dass auch andere Mechanismen für die klassischen Veränderungen verantwortlich sein können, die ein Organismus im Alter durchlebt.
In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler klären, ob durch unterschiedliche Mechanismen „zufällig“ die gleichen Veränderungen ausgelöst werden können, oder ob tatsächlich die Funktion des Golgi- Apparates während der Alterung beeinträchtigt wird.
(idw – Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, 10.11.2008 – DLO)
10. November 2008