Verborgener Gentransport: Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass auch höhere Lebewesen Gene über Artschranken hinweg austauschen können. Jetzt haben Forschende einen Akteur dieses horizontalen Gentransfers identifiziert. Es handelt sich um eine spezielle Variante der Transposons – DNA-Sequenzen, die im Genom ihre Position wechseln können und virusähnliche Merkmale aufweisen. Diese nun identifizierten „Mavericks“ können Zellen von Tieren verschmelzen lassen und sich so über Artgrenzen hinweg Zugang verschaffen, wie das Team in „Science“ berichtet.
Bei Bakterien ist der horizontale Gentransfer alltäglich: Sie tauschen ständig Gene untereinander aus und erwerben so beispielsweise neue Resistenzen gegen Antibiotika. Doch bei höheren Organismen wie Pflanzen, Tieren oder dem Menschen galt diese Form des artübergreifenden Gentransfers lange als unmöglich. „Denn dies erfordert eine ganze Kette von unwahrscheinlichen Ereignissen: Die DNA muss ihren Weg aus der Spenderart hinausfinden, in engen Kontakt mit den Keimzellen der Empfängerart kommen und sich dann in deren Erbgut integrieren“, erklären Sonya Widen vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien und ihre Kollegen.
Mysteriöser Transfer von Genen
Umso erstaunlicher, dass inzwischen vermehrt Beispiele für horizontalen Gentransfer auch bei höheren Organismen entdeckt werden: Schimmelpilze und Insekten haben nützliche Gene von Mikroben übernommen, Pflanzen können Chloroplasten untereinander austauschen und Fische die Bauanleitungen für Frostschutzmoleküle. Sogar wir Menschen haben im Laufe unserer Evolution mindestens 128 Gene von Viren, Bakterien und Pilzen übernommen und in unser Erbgut integriert.
Aber wie? Bisher stehen Forschende hier vor einem Rätsel. Zwar wird vermutet, dass einige dieser übertragenen Gene mithilfe von Viren in ihre neuen Besitzer gelangt sind, bisher gibt es dafür aber keine konkreten Belege.
Verblüffende Übereinstimmung über Millionen Jahre Evolution
Jetzt könnten Widen und ihre Kollegen einen Teil des Rätsels gelöst haben. Denn sie haben einen möglicherweise entscheidenden Akteur des horizontalen Gentransfers bei Mehrzellern entdeckt. Anstoß dafür war eine überraschende Entdeckung bei der Fadenwurm-Art Caenorhabditis briggsae. Diese trägt ein Toxin-Gen in ihrem Erbgut, das sich nur bei wenigen anderen Nematodenarten findet – aber das fast baugleich zum Toxin-Gen der seltenen, evolutionär weit entfernten Fadenwurmart Caenorhabditis plicata ist.
Das Überraschende daran: Beide Fadenwurmarten haben sich schon vor hunderten Millionen Jahren voneinander getrennt. „Ihre Genome sind so unterschiedlich wie die von Menschen und Fischen und doch haben sie beide ein fast identisches Gen“, sagt Widens Kollege Israel Campo Bes. Dieses Gen kann nicht über normale Vererbung weitergegeben worden sein, wie Analysen bestätigten. Auch eine Kreuzung beider Arten ist wegen reproduktiver Barrieren nicht möglich.
Damit lag nahe, dass dieses Toxin-Gen über horizontalen Gentransfer in die neue Nematodenart gelangt sein könnte. Um dieser Spur nachzugehen, untersuchten die Forschenden die DNA-Sequenzen rund um das Toxin-Gen genauer.
„Mavericks“ als Transporteure
Es zeigte sich: Das potenziell über die Artgrenze hinweg übertragenen Toxin-Gen ist in einen speziellen Typ von Transposons eingebettet. Diese „springenden Gene“ können innerhalb eines Genoms ihre Position wechseln und sind typischerweise von kurzen, umgekehrten DNA-Kopien eingerahmt. „Wie die Transposons haben auch die Mavericks diese invertierten Repeats und können in Genomen springen“, erklärt das Team.
Zusätzlich tragen die Mavericks aber auch virusähnliche Merkmale: Ihre DNA-Sequenz enthält die Bauanleitung für Proteine, die auch Viren nutzen, um ihr Erbgut in das ihrer Wirte einzuschleusen. „Mavericks waren bereits als eine Klasse von Transposons bekannt“, erklärt Seniorautor Alejandro Burga vom IMBA. Doch gängiger Ansicht nach fehlte diesen springenden Genen das Werkzeug, um vom Erbgut eines mehrzelligen Lebewesens in das eines anderen zu springen.
Membranfusion als Türöffner
Jetzt haben Widen und ihr Team genau dieses fehlende Werkzeug entdeckt: Die Mavericks im Erbgut der Fadenwürmer besitzen die Bauanleitung für ein sogenanntes Fusogen-Protein. Dieses Protein löst die Membranfusion zwischen verschiedenen Zellen aus und wird auch von verschiedenen Viren, darunter Herpes simplex, für die Infektion menschlicher Zellen genutzt. Weil das springende Gen des Fadenwurms die Bauanleitung für dieses Fusogen-Protein erworben hat, kann es nun ebenfalls membranumhüllte virusähnliche Partikel erzeugen, die auf andere Tiere übertragen und in ihre Zellen aufgenommen werden können.
„Dies ist das erste Mal, dass wir einen Schuldigen definitiv festnageln konnten“, sagt Widen. „Mavericks waren bereits als eine Klasse von Transposons bekannt, aber unsere Arbeit setzt sie zum ersten Mal mit dem horizontalen Gentransfer in Verbindung.“ Nach Ansicht des Forschungsteams demonstriert dies, dass diese Kombination von Transposons mit von Viren übernommenen Genen eine Schlüsselrolle für die Übertragung von Genen über Artgrenzen hinweg spielen können.
„Transposons und Viren kann man sich als Schmelztiegel der Natur vorstellen. Ihre Verbindung kann unvorhersehbare Auswirkungen haben und zu Genom-Innovationen führen“, erklärt Burga.
Auch bei anderen Mehrzellern wahrscheinlich
Die Forschenden vermuten, dass die Mavericks und andere virusähnliche transponierbare Elemente den horizontalen Gentransfer auch bei anderen mehrzelligen Organismen, darunter den Wirbeltieren, ermöglichen können. „Mavericks sind bei Eukaryoten weit verbreitet – sogar im Menschen sind pseudogenetische Kopien präsent“, berichten Widen und ihr Team. „Deswegen prognostizieren wir, dass Mavericks und analoge Gene mit viralen Merkmalen auch in anderen eukaryotischen Stammeslinien den horizontalen Gentransfer vermitteln.“
Ob dies der Fall ist, könnten gezielte Fahndungen nach Mavericks und Vergleichen der in sie eingebetteten Gene über Artgrenzen hinweg klären. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.ade0705)
Quelle: IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften