Langlebig oder nicht? Wie alt eine Tierart werden kann, könnte künftig ein Blick in ihr Erbgut verraten. Denn Forscher haben spezielle Marker in 42 Genen entdeckt, die erstaunlich genaue Hinweise auf die Lebensspanne liefern. Mit dieser Methode lässt sich demnach nicht nur die Lebenserwartung heute lebender Wirbeltierspezies errechnen. Auch Prognosen zu längst ausgestorbenen Arten wie Mammuts oder Neandertalern sind möglich.
Im Vergleich zu vielen anderen Tieren hat der Mensch eine lange Lebensspanne. Während etwa manche Insekten nur wenige Tage alt werden, leben wir im Schnitt um die 80 Jahre. Doch das ist noch nichts im Vergleich zu den Methusalems der Erde. So werden etwa Galapagos-Riesenschildkröten problemlos über 100 Jahre alt, der Grönland-Hai erreicht ein Alter von mindestens 400 Jahren und ein in der Antarktis heimischer Schwamm soll sogar 10.000 Jahre alt werden.
Spurensuche im Genom
Wie kommen diese Unterschiede zustande? Forscher sind sich sicher, dass die Gene die Grundlage dafür legen, wie schnell und wie lange die biologische Uhr eines tierischen Organismus tickt. „Doch bislang sind noch keine Genvarianten bekannt, die für die Unterschiede in der Lebensspanne verantwortlich sein könnten“, erklären Wissenschaftler um Benjamin Mayne von der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) im australischen Crawley.
Studien deuten allerdings darauf hin, dass Altern mit epigenetischen Veränderungen wie der DNA-Methylierung verbunden ist und dass es zumindest bei Säugetieren einen Zusammenhang zwischen der Lebensspanne und der Dichte sogenannter CpG-Stellen gibt. Diese speziellen Verbindungen aus zwei Nukleotidbasen finden sich häufig in Promotoren, DNA-Abschnitten, die die Genexpression regulieren. Dort sind sie Gegenstand solcher epigenetischen Anlagerungen.
„Sagt die Lebensspanne präzise voraus“
Ausgehend von dieser Beobachtung haben Mayne und seine Kollegen nun untersucht, ob sich anhand der CpG-Stellen die Lebensspanne einer Tierart abschätzen lässt. Für ihre Studie analysierten sie die Genome und speziell die Promotorensequenzen von 252 Wirbeltierspezies, von denen die Lebenserwartung bekannt ist. Würde sich ein Zusammenhang zwischen bestimmten Merkmalen im Genom und der Lebensspanne finden lassen?
Tatsächlich enthüllten die Auswertungen: Die Dichte der CpG-Stellen in den Promotoren von 42 Genen korrelierte stark mit der Lebensspanne der untersuchten Arten. „Diese Lebensspanne-Uhr sagt die maximale Lebensspanne bei Wirbeltieren präzise voraus“, berichten die Forscher. „Unseres Wissens nach ist dies das erste Prognosemodell zur Abschätzung der Lebensspanne von Wirbeltierspezies auf Basis genetischer Marker.“
Funktioniert auch bei Methusalems
Wie gut ihr Modell funktioniert, testeten die Wissenschaftler in einem zweiten Schritt auch für besonders langlebige Tiere: die Pinta-Riesenschildkröte, deren letzter Vertreter der berühmte Lonesome George war, und den Grönlandwal. „Solche Arten sind von besonderem Interesse, weil sie Einblicke in die Grundlagen der Langlebigkeit bieten können. Doch ihre Lebensspanne ist nicht immer leicht zu erfassen, weil sie ihre menschlichen Beobachter häufig überleben“, erklären sie.
Die Ergebnisse zeigten, dass sich das Modell auch für die Methusalems unseres Planeten nutzen lässt. So errechneten die Forscher auf Basis ihres Modells eine maximale Lebensspanne von 120 Jahren für die Pinta-Riesenschildkröte. „Das sind 10 bis 20 Jahre mehr als das geschätzte Alter von Lonesome George zum Zeitpunkt seines Todes“, erklären Mayne und seine Kollegen. Dennoch handele es sich um einen glaubwürdigen Wert. Für den Grönlandwal zeigte die „Lebensspanne-Uhr“ 268 Jahre an – tatsächlich ist bekannt, dass diese Meeressäuger über 200 Jahre alt werden können.
Wie alt wurden unsere Vorfahren?
Anschließend nutzten die Wissenschaftler ihre Methode, um mehr über die Lebensspanne schon lange ausgestorbener Spezies herauszufinden. So schätzten sie mithilfe des Genoms des Afrikanischen Elefanten als Referenz die Lebensspanne des Wollhaarmammuts auf 60 Jahre. Anhand genetischer Daten moderner und früher Menschen sowie Schimpansen errechneten sie zudem die Ablaufzeit der Lebensuhr für den steinzeitlichen Homo sapiens, die Denisova-Menschen und die Neandertaler.
Das Ergebnis: Unsere Vorfahren wurden wahrscheinlich nur 38 Jahre alt – dies entspricht in etwa den Schätzungen auf Basis von archäologischen Funden, wie die Forscher erklären. Bei unseren nahen Verwandten, den Denisova-Menschen und Neandertalern, kamen Mayne und seine Kollegen auf eine Lebensdauer von 37,8 Jahren. „Das spricht dafür, dass diese ausgestorbene Hominidenarten eine ähnliche Lebensspanne besaßen wie der frühe Homo sapiens“, so die Wissenschaftler.
„Völlig neuer Ansatz“
„Unsere Lebenspanne-Uhr bietet einen völlig neuen Ansatz, um die Lebensspanne alleine anhand von Genomsequenzen präzise abzuschätzen“, resümieren die Forscher. „Damit ergeben sich neue Möglichkeiten für die Erforschung der Biologie heutiger, aber auch bereits ausgestorbener Spezies, von denen alte DNA und rekonstruierte Genome vorliegen“, so ihr Fazit.
Eine Einschränkung allerdings hat die Methode: Bisher ist sie auf Wirbeltiere beschränkt. Denn die Lebensdauer wirbelloser Tiere konnten Mayne und seine Kollegen nicht vorhersagen. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-54447-w)
Quelle: Nature Press