Genetik

Genom des Riesenkalmars entschlüsselt

Erbgutanalyse ermöglicht neue Erkenntnisse über sagenumwobene Tiefseebewohner

Architeuthis
Rekonstruktion eines Riesenkalmars: Um die Tiere ranken sich zahlreiche Mythen. © gemeinfrei

Legendärer Gigant: Forscher haben das Erbgut des Riesenkalmars entschlüsselt. Dies liefert erstmals detaillierte Einblicke in die Biologie und Evolution dieser sagenumwobenen Tiefseebewohner – bisher ist über die Kopffüßer kaum etwas bekannt. Die Analysen offenbaren unter anderem, dass das Kalmargenom fast so groß ist wie das des Menschen.

Seeleute erzählten sich früher Schauergeschichten von riesigen Kraken, die mit ihren Tentakeln angeblich ganze Schiffe umschlingen konnten. Lange Zeit hielten Wissenschaftler diese Geschichten für frei erfundene Märchen. Inzwischen aber ist klar: Sie enthalten zumindest einen wahren Kern. Denn in den Tiefen der Meere leben tatsächlich Kopffüßer, die beeindruckende Körpermaße erreichen – die Riesenkalmare.

Riesenkalmar
Was ist dran an den Sagen rund um die Giganten der Tiefsee? © Alphonse de Neuville

Das Erbgut im Blick

Allein der Kopf dieser in der Fachsprache Architeuthis dux genannten Wesen wird bis zu einem Meter lang. Insgesamt sollen die Riesenkalmare eine durchschnittliche Körperlänge von zehn bis zwölf Metern erreichen. Über die Biologie dieser Tiefseebewohner ist bisher jedoch kaum etwas bekannt. Denn Riesenkalmare sind scheu und werden in ihrem natürlichen Lebensraum nur selten gesichtet. Das meiste wissen Forscher durch Funde toter Tiere, die am Strand oder in Schleppnetzen gefunden wurden.

Umso spannender ist das, was nun Rute da Fonseca von der Universität Kopenhagen und ihren Kollegen gelungen ist: Sie haben erstmals das Genom des Riesenkalmars entschlüsselt. Für ihre Studie isolierten die Wissenschaftler DNA eines toten A. dux-Exemplars. Zusätzlich entnahmen sie RNA aus Gewebeproben lebender Verwandter der Spezies, um mehr über die Funktion bestimmter Gene herauszufinden. Für den Riesenkalmar selbst gelang ihnen das nicht – die Tiere machen sich zu rar.

2.7 Milliarden Basenpaare

Die Auswertungen der Daten enthüllten: Das Erbgut des Riesenkalmars besteht aus schätzungsweise 2,7 Milliarden Basenpaaren – das entspricht rund 90 Prozent der Größe des menschlichen Genoms. Was aber verrät dieses vergleichsweise große Erbgut über das Geheimnis hinter der gigantischen Körpergröße der Tiere?

Wie die Forscher feststellten, sind viele für die Entwicklung wichtigen Gene wie die sogenannten Hox-Gene bei den riesigen Kopffüßern nur in einer Kopie vorhanden. Damit scheint klar: Das Erbgut der Riesenkalmare hat im Laufe der Evolution keine Vervielfachung erfahren. Diese sogenannte Genomverdopplung gilt als eine der Strategien, durch die viele Wirbeltiere einst größer wurden.

Gene für ein komplexes Gehirn

Wie die sagenumwobene Kalmarspezies zu ihren beeindruckenden Körpermaßen kam, kann daher künftig nur eine genauere Analyse ihres Erbguts zeigen. Für andere Fragen aber haben da Fonseca und ihre Kollegen bereits Hinweise gefunden, die sie der Antwort näherbringen: „Das Genom ist ein erster Schritt, um viele Rätsel über die Biologie dieser sonderbaren Tiere zu lösen“, konstatiert Mitautorin Caroline Albertin vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole.

Zum Bespiel über das Gehirn: Das Denkorgan der Riesenkalmare ist das größte aller wirbellosen Tiere und wahrscheinlich ziemlich komplex. Bei ihren Analysen identifizierten die Wissenschaftler nun mehr als 100 Gene aus der Familie der Protocadherine. Das Besondere: „Protocadherine gelten als wichtig, um ein kompliziertes Gehirn korrekt zu verdrahten“, erklärt Albertin.

Ursprünglich galten diese Gene und die von ihnen codierten Proteine als Erfindung der Wirbeltiere. „Wir waren daher überrascht, als wir sie vor einigen Jahren in großen Mengen im Oktopus-Genom fanden. Und nun haben wir eine ähnliche Verbreitung dieser Gene auch beim Riesenkalmar nachgewiesen“, ergänzt die Forscherin.

Tarnung mit Proteinen

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Riesenkalmar und anderen Kopffüßern: Auch diese Spezies besitzt Gene, die die Bauanleitung für spezielle Proteine, die Reflectine, enthalten. Diese Proteine wurden bisher nur bei Kopffüßern gefunden und spielen offenbar eine Rolle für den Effekt des Irisierens – ein optisches Phänomen, bei dem eine Oberfläche je nach Perspektive in anderen Farben erscheint.

„Farben sind ein wichtiger Bestandteil der Tarnung. Wir versuchen daher mehr darüber herauszufinden, was diese Genfamilie tut und wie sie arbeitet“, erklärt Albertin.

Weiteren Rätseln auf der Spur

Alles in allem verspricht die erste Veröffentlichung eines Riesenkalmar-Genoms in Zukunft weitere spannende Erkenntnisse über diese Spezies: „Nicht nur wegen seiner beeindruckenden Proportionen, sondern auch aufgrund des fehlenden Wissens über ihn hat der Riesenkalmar seit langem die Fantasie von Wissenschaftlern und Öffentlichkeit angeregt“, erklären da Fonseca und ihre Kollegen.

„Mit der Publikation dieses Genom ebnen wir nun den Weg für die Erforschung all der Enigmen, die diese Kreatur umgeben“, so ihr Fazit. (GigaScience, 2020; doi: 10.1093/gigascience/giz152)

Quelle: Marine Biological Laboratory

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