Genetik

Geschlechterkampf im Hirn

imprint-Gene schalten Aktivität einer Genkopie aus

Sex ist für vieles gut. Vor allem soll er die genetischen Karten der nächsten Generation neu mischen. Forscher in Cardiff bekommen allmählich ein Bild davon, was bestimmte Gene im Gehirn tun und wie sie Verhalten beeinflussen. Die Ergebnisse, die sie auf der Tagung der Föderation europäischer Neurowissenschaften in Genf vorgestellt haben, könnten helfen, die Ursachen für Krankheiten wie Autismus zu finden.

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„Mit Sex sorgen Vater und Mutter dafür, dass ihre Nachkommen mit einem neu gemischten Satz ‚Genkarten‘ ausgestattet werden, die sie für Veränderungen in der Umwelt rüsten. Normalerweise liegen Gene doppelt vor – wobei eine Kopie von der Mutter und die andere Kopie vom Vater stammt“, sagte Professor Lawrence Wilkinson von der Universität Cardiff in Großbritannien. Dieses Arrangement dient als eine Art Überlebensversicherung in vielen Situationen: Wenn eine Kopie nicht richtig arbeitet, oder fehlt, kann die andere Kopie einspringen. Die meisten Gene im Genom der Säugetiere, zu denen auch der Mensch gehört, folgen dieser klugen Regel.

Wilkinson und seine Mitarbeiter interessieren sich vor allem für so genannte „Imprint“-Gene – imprint: engl. für prägen, aufdrucken. Die Aktivität dieser Genkopien hängt davon aB, ob die Kopie von der Mutter oder vom Vater stammt. Das heißt, imprint-Gene schalten die Aktivität einer Genkopie aus, je nachdem ob die Kopie von der Mutter oder dem Vater kommt.

imprint-Gene Folge eines internen genetischen Konflikts

Wissenschaftler kennen diese Gruppe von Genen schon seit rund 20 Jahren. Sie haben zahlreiche Fragen über ihre Funktion gestellt und intensive Diskussionen darüber geführt, weshalb es diese Gene überhaupt gibt und welche Rolle sie in der Evolution spielen. Die populärste Hypothese derzeit ist die, dass imprint-Gene die Folge eines internen genetischen Konflikts sind, der aus den verschieden gelagerten Interessen der Gene der Mutter und des Vaters herrührt. Dieser Konflikt bestimme auch das körperliche Erscheinungsbild und die Verhaltensmuster des Nachwuchses. Diese wiederum entstünden aus dem unterschiedlich starken Verwandtschaftsgrad von Nachwuchs und Eltern

Es scheint, dass imprint-Gene ganz unterschiedliche Verhaltensweisen beeinflussen können, angefangen von der Fähigkeit eines Babies, an der Brust zu trinken, bis hin zu der Art und Weise, wie wir, wenn wir erwachsen sind, denken und uns verhalten. Es ist gut möglich, dass imprint-Gene das sich entwickelnde Gehirn beeinflussen, sowohl im Mutterleib als auch nach der Geburt, besonders in den ersten entscheidenden Lebensphasen des Säuglings.

imprint-Gene beeinflussen Psyche und Verhalten

In diesem Zusammenhang ist es sehr gut möglich, dass imprint-Gene bei einer Reihe neurologischer Erkrankungen eine Rolle spielen. Einige darunter, wie das Prader-Willi-Syndrom und das Angelman-Syndrom, sind sehr selten. Wissenschaftler vermuten, dass imprint-Gene aber auch bei der Entstehung der verschiedenen Formen von Autismus eine wichtige Rolle spielen.

Nachdem bei Gentests zunehmend auch die Eltern untersucht werden, ist es nach Auffassung des Wissenschaftlers sehr wahrscheinlich, dass es in Zukunft mehr und mehr Beispiele dafür geben wird, dass imprint-Gene auch Psyche und Verhalten beeinflussen. „Die Forschung über die Auswirkungen von imprint-Genen auf das Gehirn, steht erst am Anfang und ist eine große Herausforderung. Es gilt herauszufinden, ob normale oder veränderte Funktionen des Gehirns davon abhängen, wer bei der genetischen Schlacht der Geschlechter im Gehirn die Oberhand behält“, so Wilkinson.

(ProScience Communications, 14.07.2008 – DLO)

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