Tumore lassen sich schlechter mittels Chemotherapie bekämpfen, wenn sie neben Krebszellen auch gesunde Zellen enthalten. Das hat ein internationales Forscherteam in Zellkulturversuchen festgestellt. Kulturen aus gesunden und entarteten Zellen erweisen sich dabei als deutlich resistenter gegen gängige Krebsmittel als reine Tumorgewebe. Ursache dafür sei unter anderem ein von den gesunden Zellen produzierter Signalstoff, der Wachstumsfaktor HGF. Dieser helfen den Krebszellen dabei, Resistenzen gegen die Chemotherapeutika zu bilden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Diese Wechselwirkung zwischen den Zellen könne die Erklärung dafür sein, warum neue Therapie-Ansätze im Laborversuch oft sehr erfolgreich seien, beim Menschen aber versagen, sagen die Wissenschaftler. Denn auch im menschlichen Körper seien Tumore normalerweise von nicht entarteten Zellen durchsetzt.
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„Diese Erkenntnisse haben unmittelbare Bedeutung für die Medizin“, schreiben Ravid Straussman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen. Gegen den von den gesunden Zellen ausgesendeten Wachstumsfaktor gebe es bereits Hemmstoffe, die zurzeit in klinischen Studien getestet werden. Gemeinsam mit der herkömmlichen Chemotherapie verabreicht könnten sie Tumorbehandlungen wirksamer machen als bisher.
„Wenn wir Krebszellen aus dem Melanom eines Patienten entnehmen und in eine Schale legen, reagieren sie auf Medikamente meist extrem sensibel“, sagt Straussman. Die gleichen Wirkstoffe erwiesen sich hingegen im Patienten oft als wenig wirksam. Frühere Studien hatten bereits einige Mechanismen enthüllt, die Krebszellen resistent gegen Chemotherapeutika machen. Allerdings konnten diese bisher nicht die große Kluft zwischen den Erfolgen im Labor und im Menschen erklären. Jetzt zeige sich, dass das Problem nicht allein bei den Krebszellen, sondern bei ihren gesunden Nachbarn liege, sagen die Forscher.
Reaktion gegenüber 23 gängigen Krebsmedikamenten getestet
Für ihre Studie verglichen die Forscher zunächst die Sensibilität von reinen Tumorzellkulturen mit der gemischter Ansätze aus entarteten und gesunden Zellen. Dazu behandelten sie beide Kulturvarianten mit jeweils 23 verschiedenen Krebsmedikamenten. Wenn Tumorzellen alleine heranwuchsen, starben sie bei der Mehrheit der chemotherapeutischen Mittel. Waren Krebszellen jedoch mit gesunden Zellen vermischt, so erwiesen sie sich gegenüber mehr als der Hälfte der Medikamente als resistent.
Um der Ursache der Resistenzbildung auf die Spur zu kommen, analysierten die Wissenschaftler mehr als 500 verschiedene Substanzen, die die gesunden Zellen in den gemischten Kulturen abgaben. In den resistenten Kulturen sei der Wachstumsfaktor HGF besonders häufig vorgekommen, berichten Straussman und seine Kollegen. Dieser stehe bereits seit längerem unter Verdacht, das Wachstum von Hautkrebs zu fördern. Allerdings sei er bisher nie mit Medikamentenresistenzen in Verbindung gebracht worden. In den Zellversuchen zeigte sich nun, dass dieser Wachstumsfaktor bestimmte Stoffwechselwege in den Krebszellen reaktiviert, die normalerweise durch die Chemotherapeutika blockiert werden und so die Krebszellen abtöten. Der Wachstumsfaktor hob diese Wirkung auf, wie die Wissenschaftler berichten.
Diese Erkenntnis habe sich bei Untersuchungen mit 34 Hautkrebspatienten erhärtet, sagen die Forscher. Melanome, die eine niedrige Menge HGF aufwiesen, schrumpften bei der Chemotherapie stärker als jene mit einer erhöhten Konzentration des Wachstumsfaktors. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte der Wachstumsfaktor bei anderen Krebsarten einen ähnlichen Effekt haben. Bestätige sich das in weiteren Studien, biete das eine neue Ansatzstelle für Therapien. (doi:10.1038/nature11183)
(Nature, 05.07.2012 – NPO)