Zu kleine Hirne, schwache Herzen, krumme Körper: Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat führt zu massiven Fehlbildungen bei Froschlarven, wie ein Experiment belegt. Unter dem Einfluss des Spritzmittels entwickelten die Kaulquappen körperliche und neuronale Defekte und waren insgesamt verkümmert. Diese Effekte traten bei Glyphosat-Konzentrationen auf, wie sie in einigen Ländern bereits in Gewässern gemessen wurden. Der Unkrautvernichter könnte demnach zum weltweiten Amphibienschwund beitragen, so das Team.
Glyphosat ist weltweit eines der am häufigsten eingesetzten Herbizide – und findet sich längst auch im Trinkwasser und in der Nahrungskette. Doch wie schädlich dieses Unkrautvernichtungsmittel für Mensch und Tier ist, ist hoch umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte es als potenziell krebserregend ein, zudem gibt es Hinweise auf Nervenschäden durch Glyphosat. Zwei EU-Behörden konnten hingegen keine Schadwirkung erkennen.
Wie spezifisch wirkt Glyphosat wirklich?
Als Argument gegen eine krebserregende oder organschädigende Wirkung des Glyphosats wird meist angeführt, dass dieses Herbizid ein Enzym in einem Stoffwechselweg hemmt, der nur bei Pflanzen und einigen Mikroorganismen vorkommt. Dieser sogenannte Shikimisäure-Weg ist bei ihnen an der Bildung mehrerer Aminosäuren und pflanzlicher Inhaltsstoffe beteiligt. „Wegen dieser spezifischen Wirkung gelten glyphosathaltige Herbizide bislang als ungiftig für Nichtziel-Organismen“, erklären Hannah Flach und ihre Kollegen von der Universität Ulm.
Doch an dieser pflanzenspezifischen Wirkung gibt es schon länger Zweifel. Dies bestätigt nun auch eine Studie von Flach und ihrem Team. Sie haben untersucht, wie sich Glyphosat-Herbizide auf die Embryonalentwicklung des Südafrikanischen Krallenfroschs (Xenopus laevis) auswirken. Dafür ließen sie die Tiere vom Eistadium an in Wasser aufwachsen, das mit verschiedenen, nicht tödlichen Dosen des Spritzmittels versetzt war.
Massive Fehlbildungen von Herz, Hirn und Nerven
Das Ergebnis: Die Froschlarven entwickelten deutliche Fehlbildungen: Ihre Augen, Gehirne, Nerven und Schädelknorpel waren gegenüber unbehandelten Kaulquappen sichtbar verkleinert. Außerdem waren Herzfrequenz und Vorhofgröße bei den Tieren deutlich verringert und auch ihre Körperform- und -länge war abnormal. „Dabei traten nicht nur Defekte im Gehirn und im Herzen auf, sondern die Kaulquappen waren auch vermindert schwimmfähig, was sie in der Natur anfälliger für Fressfeinde macht“, berichtet Flach.
Ergänzende Analysen enthüllten, dass das glyphosathaltige Herbizid auch die Genaktivität bei den sich entwickelnden Kaulquappen veränderte: Wichtige Markergene in verschiedenen Geweben waren weniger aktiv, wie Flach und ihre Kollegen feststellten. Ähnliches galt für Gene, die in bestimmten Entwicklungsstadien an und ausgeschaltet werden.
Mitschuld am Amphibiensterben?
Nach Angaben des Forschungsteams bestätigt dies, dass Glyphosat die Embryonalentwicklung von Amphibien beeinträchtigen und zu teils schweren Fehlbildungen der Kaulquappen führen kann. Die Konzentrationen, bei denen diese Schäden auftraten, lagen dabei durchaus im realistischen Bereich: Die Werte kamen den Glyphosatkonzentrationen nahe, die in einigen Ländern wie Brasilien schon in kleinen und stehenden Gewässern nachgewiesen wurden – und damit in den Lebensräumen, in denen viele Frösche und Kröten laichen.
In Deutschland wurden Glyphosat-Konzentrationen in dieser Höhe zwar bisher noch nicht nachgewiesen. Dennoch sehen Flach und ihre Kollegen in ihren Resultaten Grund zur Sorge: „Die Ergebnisse lassen vermuten, dass Pestizide wie glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel beim weltweiten Rückgang von Amphibienpopulationen durchaus eine tragende Rolle spielen könnten“, erklärt das Team.
In der EU vorerst weiter zugelassen
In der EU ist ein Glyphosat-Verbot bereits seit längerem in der Diskussion. Ein Versuch im Jahr 2017, die EU-Zulassung dieses Pestizids nicht mehr zu verlängern, scheiterte allerdings – unter anderem an der Stimme des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers. Angesichts ihrer Ergebnisse halten es die Forschenden jedoch für wichtig, wenigstens die Einhaltung der geltenden Grenzwerte strikt zu überwachen.
„Auch als Privatperson sollte man sich gut erkundigen, bevor man chemische Pflanzenschutzmittel im Garten ausbringt, und wenn immer möglich nach Alternativen suchen“, empfiehlt Koautorin Susanne Kühl. (Aquatic Toxicology, 2022; doi: 10.1016/j.aquatox.2022.106081)
Quelle: Universität Ulm