Uralt und doch jung: Das Gehirn von Grönlandhaien – den langlebigsten Wirbeltieren der Welt – verändert sich selbst in hohem Alter von über 200 Jahren kaum, wie Untersuchungen enthüllen. Demnach weisen diese langlebigen Fische im Gegensatz zum Menschen keine altersbedingte Veränderungen im Gehirn auf. Die Analysen liefern neue Erkenntnisse über die Prozesse des Alterns und die Entstehung altersbedingter Krankheiten beim Menschen.
Die im Nordatlantik lebenden Grönlandhaie (Somniosus microcephalus) gelten als die langlebigsten bekannten Wirbeltiere der Welt – sie können schätzungsweise bis zu 500 Jahre alt werden. Die seltenen Tiere sind bisher kaum erforscht, erste Beobachtungen dieser Haie belegten aber, dass sie nur sehr langsam wachsen: Weniger als einen Zentimeter nehmen sie pro Jahr an Länge zu. Bis sie eine Körpergröße von bis zu fünf Metern erreichen, dauert es daher extrem lange. Mit knapp 200 Jahren sind die Fische schließlich geschlechtsreif.
Wie altern Grönlandhaie?
Um herauszufinden, wie Grönlandhaie so alt werden können, hat nun ein internationales Forscherteam um Daniel Erny des Universitätsklinikums Freiburg erstmals das Gehirn eines Grönlandhais untersucht. Isländischen Wissenschaftlern war ein Grönlandhai- Weibchen in Westisland als Beifang ungewollt ins Netz gegangen. Das Alter des Tiers schätzten die Forscher auf etwa 245 Jahre, da es bereits 4,6 Meter lang war.
Die Forscher untersuchten das uralte Gehirn mithilfe hochauflösender Mikroskopiertechniken. Ihre Befunde verglichen sie mit den Gehirnen von gesunden alten Menschen sowie denen von Parkinson- und Alzheimer-Patienten. „Das Altern des Menschen- und Primatengehirns ist mit einer breiten Palette von Veränderungen verknüpft, die die Zellphysiologie, die Gewebeintegrität und die Architektur des Zentralnervensystems betreffen“, erklären Erny und sein Team.
Denn im Gegensatz zu den meisten Körperzellen können sich Gehirnzellen kaum regenerieren. Sie sind daher gegenüber altersbedingten Schäden besonders anfällig. Das weckte die Frage, wie es bei den Grönlandhaien aussieht, die um ein Vielfaches älter werden können als wir Menschen. „Dieser Fund ist ein Glücksfall für die Neurowissenschaften“, sagt Ernys Kollege Marco Prinz.
Haigehirn trotz Alter nicht verändert
Die Untersuchungen des Haigehirns ergaben Erstaunliches: „Überaschenderweise fanden wir im Gehirn des Hais, der sich in seinem dritten Lebensjahrhundert befand, keine altersbedingten Veränderungen, wie wir sie vom Menschen kennen“, erklärte Erny. Die Befunde dieses alten Gehirns zeigten weder Ablagerungen, Zellverluste noch ein verändertes Gewebe oder geschrumpfte Hirnregionen.
Auch Anzeichen für andere neurodegenerative Veränderungen fehlten. „Das spricht dafür, dass das Zentralnervensystem von Wirbeltieren durchaus jahrhundertelang erhalten bleiben kann“, konstatieren die Forscher. Tatsächlich zeigen auch die Gehirne einiger über hundertjähriger Menschen überraschend wenig typische Altersanzeichen.
Alter nicht das Hauptrisiko
Die Wissenschaftler vermuten, dass die Lebensweise der Grönlandhaie ihr Gehirn so jung erhalten hat. Diese Tiere leben in kaltem Wasser, und wachsen und bewegen sich nur langsam. Durch ihren reduzierten Stoffwechsel und die geringen Belastungen sind auch ihre Zellen kaum oxidativem Stress durch aggressive chemische Stoffwechsel-Abbauprodukte ausgesetzt, wie Erny und seine Kollegen erklären.
Die Ergebnisse erlauben damit auch Rückschlüsse auf die Ursachen der neurodegenerativer Erkrankungen: „Für neurodegenerative Erkrankungen des Menschen wie Parkinson und Alzheimer galt bislang das Alter als das größte Krankheitsrisiko“, erklärt Prinz. „Bei den über 90-Jährigen sind statistisch mehr als 40 Prozent an Alzheimer erkrankt.“ Doch angesichts des junggebliebenen Gehirns des Grönlandhais könnte das bloße chronologische Alter nicht mehr als Hauptrisiko für neurodegenerative Veränderungen gelten. „Vielmehr sind neben genetischen Faktoren auch Umwelteinflüsse und speziesspezifische Faktoren entscheidend“ , sagt Erny.
Zukünftige Studien sollen nun klären, welche Faktoren jenseits des Alterns im Einzelnen für die Erkrankungen verantwortlich sind. (Springer, 2020, doi: 10.1007/s00401-020-02237-4)
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg