Meeresforschung

Größter Fressrausch des Meeres beobachtet

Kabeljaue verschlingen Millionen Fische innerhalb weniger Stunden

Fischschwarm
Vor der Küste Norwegens ist die Hälfte eines gigantischen Fischschwarms innerhalb weniger Stunden von Kabeljauen gefressen worden. © izanbar/ iStock

Beutezug der Superlative: Vor der norwegischen Küste haben Ozeanografen den bislang größten Fressrausch der Ozeane beobachtet. Als ein riesiger Schwarm sardellengroßer Lodden auf einen Schwarm räuberischer Kabeljaue traf, verputzten Letztere über zehn Millionen der kleinen Beutefische – und das innerhalb weniger Stunden. Solche massiven Beutezüge könnten in Einzelfällen ganze Fischpopulationen an den Rand der Vernichtung bringen, wie das Team berichtet.

Viele Fische bewegen sich in großen Schwärmen fort, um Schutz vor Räubern zu suchen. Innerhalb der Schwärme gibt es sogar „Verkehrsregeln“: Um nicht miteinander zu kollidieren, koordinieren die Fische ihre Bewegungen ähnlich wie Autofahrer im Stau auf der Autobahn. Doch manchmal werden ihre perfekten Schwarmformationen den Fischen auch zum Verhängnis, weil sie Meeresräuber dadurch erst recht auf sich aufmerksam machen.

Glockenkonzert der Fische

Eine besonders fatale Begegnung zwischen Fischschwarm und Räubern haben Ozeanografen um Shourav Pednekar vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) vor der norwegischen Küste beobachtet. Eigentlich wollten sie dort nur eine neue Akustik-Technologie testen, die Schallwellen ins Meerwasser aussendet und das Muster jener Wellen analysiert, die von Fischen zurückgeworfen werden.

Um herauszufinden, welche Fischarten sich gerade rund um das Boot befinden, gibt es einen ungewöhnlichen Trick. „Fische haben Schwimmblasen, die wie Glocken schwingen“, erklärt Seniorautor Nicholas Makris. Diese Resonanzschwingungen sind je nach Fischart und Größe ihrer Schwimmblase verschieden: „Kabeljaue haben große Schwimmblasen, die eine tiefe Resonanz haben, wie eine Big-Ben-Glocke, während Lodden winzige Schwimmblasen haben, die wie die höchsten Töne eines Klaviers klingen“, so Makris.

Der größte jemals beobachtete Fressrausch

Lodden (Mallotus villosus) sind kleine arktische Fische von der Größe einer Sardelle. Jeden Februar wandern Milliarden von ihnen vom Rand des arktischen Eisschildes nach Süden zur norwegischen Küste, um dort ihren Laich abzulegen. Sie boten damit die perfekte Gelegenheit für einen Test der Akustik-Technologie – auch Ocean Acoustic Waveguide Remote Sensing (OAWRS) genannt. Doch was Pednekar und seine Kollegen unter der Wasseroberfläche aufzeichneten, war nicht annähernd das, was sie erwartet hatten.

Die akustische Karte der Forschenden zeigte zunächst einige lose Gruppen von Lodden, die sich entlang der norwegischen Küste bewegten. Irgendwann begannen die Fische dann in die Tiefe zu tauchen – möglicherweise auf der Suche nach geeigneten Laichplätzen am Meeresboden. Dabei schlossen sich die Lodden zu einem gewaltigen Schwarm von rund 23 Millionen Fischen zusammen, der sich über zehn Kilometer erstreckte. So weit, so normal.

Akustische Karte
So sah das Zusammentreffen beider Schwärme auf der akustischen Karte aus. © Mit freundlicher Genehmigung von Nicholas Makris, et al.

Doch dieser Megaschwarm blieb nicht unbemerkt: Kurz nachdem er sich gebildet hatte, offenbarten die akustischen Messungen, dass er immer mehr Kabeljaue (Gadus morhua) anzog, die schließlich ebenfalls einen Schwarm von etwa 2,5 Millionen Tieren bildeten. Was dann folgte, war der größte jemals beobachtete Fressrausch der Meere. Wie Pednekar und sein Team berichten, verzehrten die Kabeljaue in den folgenden Stunden unglaubliche 10,5 Millionen Lodden – fast die Hälfte des kompletten Schwarms. Irgendwann lösten sich beide Schwärme schließlich wieder auf und die überlebenden Fische zerstreuten sich.

Riesen-Raubzüge als Todesstoß?

Makris nimmt an, dass solche massiven, koordinierten Raubzüge im Meer häufiger vorkommen, auch wenn dies das erste Mal ist, dass Wissenschaftler ein solches Ereignis dokumentieren konnten. Im Falle der hierbei betroffenen Lodden ist es unwahrscheinlich, dass der Fressrausch ihre Population geschwächt hat. Schließlich machte ihr riesiger Schwarm gerade einmal 0,1 Prozent der gesamten laichenden Population in der Region aus, wie die Forschenden erklären.

Ganz anders sieht das allerdings bei ohnehin gefährdeten Fischpopulationen aus, wie Makris erklärt: „Es hat sich immer wieder gezeigt, dass es, wenn eine Population kurz vor dem Zusammenbruch steht, einen letzten Schwarm gibt. Und wenn diese letzte große, dichte Gruppe verschwunden ist, kommt es zum Zusammenbruch.“ Die Ozeane mit Technologien wie OAWRS zu überwachen, könnte daher in Zukunft immer wichtiger werden. „Man muss wissen, was es dort gibt, bevor es weg ist“, betont Makris. (Communications Biology, 2024; doi: 10.1038/s42003-024-06952-6)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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