Genetik

Größtes Genom im Tierreich entschlüsselt

Südamerikanischer Lungenfisch schlägt bisherigen Rekordhalter um 47 Milliarden Basenpaare

Südamerikanischer Lungenfisch
Das Genom Südamerikanischer Lungenfische ist 30 Mal größer als das menschliche. © Katherine Seghers, Louisiana State University

Rekord-Riesengenom: Mit einer Länge von 90 Milliarden Basenpaaren ist das frisch entschlüsselte Genom des Südamerikanischen Lungenfisches das größte im gesamten Tierreich. Das Erbmaterial dieses „lebenden Fossils“ ist demnach doppelt so groß wie das des bisherigen Rekordhalters – des Australischen Lungenfischs – und 30 Mal so groß wie das menschliche Genom. Die umfangreichen genetischen Informationen könnten nun mehr über den ersten Landgang und den gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Landwirbeltiere verraten.

Das Leben auf der Erde ist im Wasser entstanden, doch dort blieb es nicht. Nachdem Einzeller, Pflanzen und Gliederfüßer es vorgemacht hatten, wagte sich vor 420 bis 360 Millionen Jahren auch ein fischähnliches Wirbeltier zum ersten Mal an Land. Aus ihm sollten sich alle heutigen Landwirbeltiere entwickeln: vom Frosch über die Amsel bis hin zum Menschen. Tatsächlich leben mit den Lungenfischen auch heute noch enge Verwandte dieses Ur-Ahns. In der DNA dieser urtümlichen Schwimmer schlummern daher wertvolle Informationen über die Zeit des ersten Landgangs.

Lungenfisch
Lungenfische sind die engsten heute noch lebenden Verwandten der Urzeitwesen, die einst als erste Wirbeltiere das Land eroberten. © Katherine Seghers/ Louisiana State University

Mehr Amphibie als Fisch

Heute existieren noch drei Linien von Lungenfischen: eine in Afrika (Protopteridae), eine in Südamerika (Lepidosiren paradoxa) und eine in Australien (Neoceratodus forsteri). Das Erbgut der australischen Linie ist bereits im Jahr 2021 komplett entschlüsselt worden. Die Genetiker fanden darin überraschenderweise mehr Ähnlichkeiten zu Amphibien und anderen Landwirbeltieren als zu Fischen.

Diese Ähnlichkeiten betreffen zum Beispiel die Zahl und das räumliche und zeitliche Expressionsmuster von Genen, die mit der Entwicklung von Lungen, gelenkigen Gliedmaßen und mit der Erkennung von Gerüchen in der Luft in Verbindung stehen. Außerdem stellte sich das Genom des Australischen Lungenfisches als riesig heraus: Mit einer Länge von 43 Milliarden Basenpaaren ist es 14 Mal größer als das des Menschen und war bis vor kurzem das größte je entschlüsselte Tiergenom.

Ein neuer Rekord

Doch nun haben Forschende um Manfred Schartl von der Universität Würzburg auch das Genom des Westafrikanischen und des Südamerikanischen Lungenfisches sequenziert und dabei einen neuen Rekordhalter in Sachen Genomgröße gefunden. Das Erbmaterial des Südamerikanischen Lungenfisches umfasst demnach über 90 Milliarden Basenpaare und schlägt den bisherigen Rekordhalter somit um stolze 47 Milliarden Basenpaare.

Die wahre Größe dieses Lungenfisch-Genoms wird vor allem im Vergleich mit dem Menschen deutlich, denn der genetische Code des urtümlichen Fisches ist 30 Mal so lang wie der unsere. „18 der 19 Chromosomen des Südamerikanischen Lungenfisches sind schon einzeln jeweils größer als das gesamte menschliche Genom mit seinen knapp drei Milliarden Basen“, verdeutlicht Seniorautor Axel Meyer von der Universität Konstanz.

Fleißiger Erbgut-Copyshop als Ursache

Verantwortlich für diese enorme Genomgröße sind sogenannte autonome Transposons. Dabei handelt es sich um DNA-Abschnitte, die sich „vermehren“ und Kopien an anderen Positionen des Genoms einfügen – was wiederum das Erbgut wachsen lässt. Diese Prozesse laufen zwar auch bei anderen Lebewesen ab, aber nicht annähernd so schnell wie beim Südamerikanischen Lungenfisch. Wie die Forschenden herausgefunden haben, ist sein Genom in der Vergangenheit etwa alle zehn Millionen Jahre um die Größe des gesamten menschlichen Genoms gewachsen.

„Und es wächst weiter“, berichtet Meyer. „Wir haben Belege dafür gefunden, dass die verantwortlichen Transposons noch immer aktiv sind.“ Das könnte daran liegen, dass ihnen anders als zum Beispiel in der menschlichen DNA kaum Einhalt geboten wird. Denn der Südamerikanische Lungenfisch weist nur sehr niedrige piRNA-Konzentrationen auf – eines RNA-Typs, der normalerweise die Ausbreitung von Transposons begrenzt.

Genetische Vergleiche erlauben Zeitreise

Dadurch, dass Transposons sich vermehren, im Genom herumspringen und so zu dessen Wachstum beitragen, können sie das Erbgut eines Lebewesens stark verändern und zu einer wichtigen Triebkraft der Evolution werden. Umso überraschender war es für Schartl und sein Team, dass die Anordnung der Gene beim Südamerikanischen Lungenfisch trotzdem recht urtümlich geblieben zu sein scheint. Dieser Umstand könnte es nun ermöglichen, daraus die Architektur des Chromosomensatzes von Ur-Landwirbeltieren zu rekonstruieren und so auch mehr über unsere Vorfahren und den ersten Landgang zu erfahren.

Ein erster Vergleich der drei entschlüsselten Lungenfisch-Genome brachte schon jetzt einige neue evolutionäre Erkenntnisse. Zum Beispiel fanden Schartl und seine Kollegen heraus, dass Veränderungen im für die Embryonalentwicklung wichtigen Sonic-Hedgehog-Signalweg (shh) bei Südamerikanischen und Westafrikanischen Lungenfischen dazu geführt haben müssen, dass sich die bei ihren Vorfahren noch fleischigen Flossen im Laufe der Zeit zu fadenförmigen Anhängseln zurückentwickelten. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07830-1

Quelle: Universität Konstanz

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