Körper und Haus der meisten Schnecken sind glatt. Doch es gibt auch Ausnahmen: die so genannten „Haarschnecken. Sie tragen einen samtigen Überzug aus feinen Auswüchsen. Wozu diese gut sein könnten, haben jetzt Wissenschaftler untersucht.
„Behaarte“ Schneckenarten kommen überall auf der Welt in unterschiedlichen Familien der Landschnecken vor. Bei dem haarigen Aufwuchs handelt es sich um fädige Auswüchse der zähen Proteinschutzschicht (Conchiolin) des Schneckenhauses. Gebildet wird diese Schutzschicht vom Mantelgewebe der Schnecken bei der Erweiterung des Gehäuses am Rand der Öffnung. Je nach Dichte und Länge der Haare erscheinen die Tiere samtig bis pelzig.
Welche Funktion die „behaarten“ Gehäuse haben, war den Forschern bisher allerdings ein Rätsel. „Die Bildung der Haare erfordert besondere Strategien und einen erheblich größeren Materialeinsatz als eine glatte Schale,“ erklärt der Frankfurter Zoologe Privatdozent Dr. Markus Pfenninger, „Eine haarige Schale stellt also einen ‚teuren’ Mehraufwand dar, der seinem Träger irgendeinen evolutiven Vorteil bringen sollte“.
Stammesgeschichte als erster Schritt
Einen Hinweis auf des Rätsels Lösung gab die Beobachtung, dass die behaarten Arten vorzugsweise in feuchten Waldhabitaten vorkommen. Um sich zu vergewissern, dass dies kein Zufall ist, rekonstruierte die Forschergruppe um Pfenninger, an der auch Wissenschaftler aus Prag, Konstanz und Lausanne beteiligt sind, die Stammesgeschichte der Haarschneckengattung Trochulus. In dieser in Mitteleuropa verbreiteten Gattung gibt es sowohl behaarte als auch glatte Arten, was die Voraussetzung für eine solche Untersuchung ist. Sehr zuverlässig lässt sich die Stammesgeschichte durch den genetischen Vergleich von nukleären und mitochondrialen DNA-Sequenzen rekonstruieren.
Die Untersuchung hat gezeigt, dass die letzte gemeinsame Vorfahrenart aller Trochulus-Schnecken aller Wahrscheinlichkeit nach bereits Haare hatte und in einem feuchten Habitat lebte. Im Laufe der Evolution gingen dann diese Haare mindestens drei Mal unabhängig voneinander verloren und zwar jeweils beim Übergang zu trockenem Habitat. Das spricht dafür, dass die Haare in trockener Umgebung nicht gebraucht werden.
Haare als Hafthilfe
Wozu sind sie aber in feuchter Umgebung nützlich? 1999 hatte der russische Zoologe Suvorov vermutet, die Haare würden die Fortbewegung auf nassen Oberflächen erleichtern, indem sie den Wasserfilm vom Gehäuse fernhalten. Dass gerade das Gegenteil der Fall ist, konnten Pfenninger und seine Kollegen jetzt experimentell nachweisen.
„Die Haarschnecken der Gattung Trochulus gehen meistens bei sehr feuchtem Wetter auf Nahrungssuche,“ erklärt Pfenninger, „Sie bevorzugen krautige Pflanzen, wie zum Beispiel Huflattich, die dann mit einem Wasserfilm überzogen sind. Eine Schnecke, die sich auf solch schwankendem Grund ernährt, benötigt also jedes bisschen zusätzliche Haftung, die sie bekommen kann.“ Denn fiele die Schnecke von ihrer oft ein Meter über dem Boden schwebenden Futterquelle, würde es für sie einen immensen Energieverlust bedeuten, wieder hochzuklettern.
(Universität Frankfurt (Main), 16.11.2005 – NPO)