Bei älteren Menschen nimmt oft der Tastsinn ab. Seltsamerweise wird dabei jedoch keineswegs der für die Handreize zuständige Bereich im Gehirn kleiner. Stattdessen belegte ein Experiment nun, dass sich die Handrepräsentation mit dem Alter sogar deutlich vergößert. Die in der Fachzeitschrift „Cerebral Cortex“ erschienen Studie widerlegt damit gängige Anahmen.
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Die Organisation des menschlichen Gehirns folgt speziellen Ordnungsprinzipien. So verarbeitet es beispielsweise Sinneseindrücke des Tastsinns, die über benachbarte Hautbereiche wahrgenommen werden, ebenfalls in benachbarten Arealen der Großhirnirinde. So entsteht im menschlichen Gehirn eine vollständige Abbildung des menschlichen Körpers, der „Homunkulus“. Eine neurowissenschaftliche Arbeitsgruppe der Ruhr-Universität Bochum um Professor Martin Tegenthoff von der Neurologischen Klinik Bergmannsheil und Hubert Dinse vom Institut für Neuroinformatik hat nun gezielt untersucht, ob und wie sich diese Repräsentationen im Laufe des Lebens ändern.
Abbild der Hand im Gehirn
Ausgangspunkt für die Studie war die Beobachtung, dass bei vielen älteren Menschen nicht nur Gehör und Sehsinn abnehmen, sondern auch der Tastsinn. Alltägliches wie das Zuknöpfen eines Hemdes entwickeln sich dann zu einer Herausforderung. Um die räumliche Ausdehnung dieser Handrepräsentationen messen zu können, stimulierten die Wissenschaftler während einer EEG- Messung die Zeigefinger und kleinen Finger von jungen Probanden zwischen 19 und 35 Jahren und älteren zwischen 60 und 85 Jahren.
Durch die Stimulation werden die entsprechenden Fingerrepräsentationen im Gehirns aktiviert. Die Forscher zeichneten diese Aktivierungsquellen auf und konnten so deren Lage in räumlichen Koordinaten beschreiben. Die Größe der Handrepräsenation im Gehirn ergibt sich dabei aus den Abständen zwischen den für den Zeigefinger und für den kleinen Finger errechneten Aktivierungsquellen.
Ergebnis widerspricht Annahmen
Das Ergebnis widersprach allen Annahmen. Denn sowohl im Bereich der rechten als auch der linken Hand ist der Tastsinn älterer Menschen schlechter als der junger Menschen. Bei jungen Versuchspersonen geht typischerweise eine lernbedingte Verbesserung des Tastsinns mit vergrößerten Repräsentationsarealen einher. Daher hatten die Bochumer Forscher bei ihren Versuchspersonen hohen Alters erwartet, kleinere Repräsentationen der Hand-/Fingerareale im Gehirn vorzufinden.
Das Gegenteil war aber der Fall: Trotz schlechterer Leistung waren die Handrepräsentationen der älteren Versuchspersonen wesentlich größer als die der jungen Versuchspersonen. Ältere Menschen aktivieren somit für eine sensorische Aufgabe, auch wenn sie schlechter ausgeführt wird, größere Teile ihres Gehirns. Dies deutet drauf hin, dass die beobachteten kortikalen Veränderungen im Gehirn des älteren Menschen anderen Mechanismen unterliegen, als dies für lernbedingte Veränderungen gilt.
Ziel weiterer Forschungen ist es nun, über ein besseres Verständnis dieser zunächst unerwarteten altersbedingten Gehirnveränderungen Trainings- und Therapiemethoden für ältere Menschen zur längeren Erhaltung ihrer Alltagskompetenz zu entwickeln.
(Ruhr-Universität Bochum, 14.01.2009 – NPO)