Evolution

Hatte der Mensch zwei Gründerpopulationen?

Genanalysen enthüllen verborgenes Kapitel in der Entstehung des Homo sapiens

Menschliche Schädel
Unsere Spezies, der Homo sapiens, könnte durch die Vermischung zweier Gründerpopulationen entstanden sein. © ikinikon/ iStock

Überraschende Entdeckung: Unsere menschliche Spezies könnte durch die Wiedervereinigung von zwei verschiedenen Frühmenschen-Populationen entstanden sein. Ihr Erbgut findet sich heute im Verhältnis 80 zu 20 in unserem Genom, wie in „Nature“ veröffentlichte DNA-Analysen enthüllen. Demnach trennten sich diese Gründerpopulationen vor rund 1,5 Millionen Jahren voneinander, kamen aber vor 300.000 Jahren wieder zusammen – und schufen den Homo sapiens. Doch wer waren diese Gründer?

Der Stammbaum des Menschen ähnelt eher einem wirren Gestrüpp als einer säuberlichen Stammeslinie. Welche Spezies sich wann abspaltete, ist erst in Teilen bekannt. DNA-Analysen belegen zudem, dass sich unsere Homo-sapiens-Vorfahren nach ihrer Entstehung vor rund 300.000 Jahren mit anderen Menschenarten kreuzten, darunter Neandertalern, Denisova-Menschen und mindestens einer weiteren archaischen Menschenform.

Menschenstammbaum
Wie und aus welchen Vorfahren der Homo sapiens entstand, ist strittig. Auch welche archaischen Menschenformen sich mit unseren Vorfahren vermischten, ist erst in Teilen geklärt. © Chris Stringer/ CC-by-sa 3.0

Zwei Vorläufer-Populationen

Doch jetzt wird es noch komplizierter: Auch der Homo sapiens ist offenbar aus mindestens zwei verschiedenen Vorgänger-Populationen hervorgegangen, wie Forscher der University of Cambridge um Trevor Cousins herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie DNA-Daten des 1000-Genomes-Projekts ausgewertet, in dessen Rahmen Erbgut von Menschen auf allen Kontinenten sequenziert wurde. Das Team entwickelte einen Algorithmus, um darin nach Hinweisen auf frühe Populationsengpässe, Vermischungen und Abspaltungen zu suchen.

Sie wurden fündig: Den Analysen zufolge ereignete sich vor rund 1,5 Millionen Jahren eine Auftrennung unserer Stammeslinie – noch vor Abspaltung des Neandertalers und des Denisova-Menschen. Aus dieser Trennung entwickelten sich dann zwei verschiedene Vorläufer-Populationen des Homo sapiens, die gut eine Million Jahre lang unabhängig voneinander existierten, wie die Forscher ermittelten.

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Flaschenhals und eine erste Abzweigung

Eine dieser beiden Vorläufer-Populationen wäre nach dieser Trennung fast ausgestorben: „Direkt nach ihrer Trennung sehen wir einen schwerwiegenden Flaschenhals in einer von ihnen“, sagt Koautor Aylwyn Scally. Bei einem solchen „Flaschenhals“ verarmt der Genpool einer Population. „Dies legt nahe, dass diese Population auf eine sehr geringe Größe schrumpfte, bevor sie sich dann im Laufe der nächsten gut eine Million Jahre wieder erholte“, so Scally weiter.

Welche Ursache der genetische Flaschenhals hatte, ist ungeklärt. Denkbar wäre aber das Auswandern einer kleinen Gruppe, die dann eine neue Population begründeten, so das Team. Nachdem sich diese Population A erholt hatte, wurde sie zu einem wichtigen Urahnen gleich mehrerer Menschenarten. Als erstes zweigten aus ihr vor rund 700.000 Jahren die gemeinsamen Vorfahren der Denisova-Menschen und der Neandertaler ab, wie die DNA-Vergleiche nahelegten.

Wiedervereinigung brachte den Homo sapiens hervor

Dann folgte das für den Homo sapiens entscheidende Ereignis: Vor rund 300.000 Jahren vereinten sich die beiden Vorläufer-Populationen A und B wieder. „Das war etwa zu der Zeit, aus der auch die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens stammen“, erklären Cousins und seine Kollegen. Erst aus dieser Wiedervereinigung ging demnach unsere Spezies hervor. In unserem Genom zeigt sich dabei eine 80:20-Mischung dieser beiden Vorläufer-Gruppen. 80 Prozent unseres Genoms haben wir demnach von der Population A geerbt.

„Lange Zeit nahm man an, dass wir aus einer einzigen, kontinuierlichen Stammeslinie hervorgegangen sind. Aber unsere Forschung zeigt, dass unsere evolutionären Ursprünge komplexer sind“, sagt Cousins‘ Kollege Richard Durbin. „Beteiligt waren verschiedene Gruppen, die sich mehr als eine Million Jahre lang getrennt voneinander entwickelten, dann aber wieder zusammenkamen, um den modernen Menschen zu bilden.“

Homo erectus
Gehörten die Gründerpopulationen zum Homo erectus oder zu einer anderen Frühmenschenart? Bisher ist dies ungeklärt. © Tiia Monto/ CC-by-sa 3.0

Minderheit lieferte wichtige Gene

Interessant auch: Obwohl nur rund 20 Prozent unseres genetischen Materials von der Population B stammen, verdanken wir ihr entscheidende Gene, darunter einige für die Hirnentwicklung, die Synapsenfunktion und weitere neuronale Prozesse. Weitere mit B-Erbmaterial angereicherte DNA-Regionen sind für die adaptive Immunantwort, die Abwehr von mikrobiellen Krankheitserregern und Lymphozyten sowie für unseren Geruchssinn zuständig.

„Diese könnten eine entscheidende Rolle für die menschliche Evolution gespielt haben“, so Cousins. Die Analysen lieferten jedoch auch Indizien dafür, dass sich die natürliche Selektion besonders stark auf die B-Anteile in unserem Genom ausgewirkt hat. Diese sogenannte „reinigende Selektion“ sorgte offenbar dafür, dass diese wichtigen Gene vergleichsweise selten von schädlichen Mutationen betroffen waren.

Zu welcher Spezies gehörten die Gründerpopulationen?

Doch wer waren diese beiden Gründerpopulationen des Homo sapiens? Welcher Frühmenschen-Spezies gehörten sie an? Bisher können Cousins und sein Team darüber nur spekulieren. „In der relevanten Zeitperiode gab es verschiedene Populationen des Homo erectus und Homo heidelbergensis in Afrika und anderswo“, schreiben die Forscher. „Sie sind daher potenzielle Kandidaten für diese Stammeslinien.“

Doch um die Artzugehörigkeit unserer Ahnen genauer einzugrenzen, sind nun weitere genetische Vergleichsstudien nötig. „In jedem Fall wird aber klar: Die Vorstellung, dass sich eine Art in säuberlich getrennten Stammeslinien entwickelt, ist zu vereinfachend“, sagt Cousin. „Stattdessen haben Kreuzungen und genetischer Austausch eine wichtige Rolle für die Entwicklung neuer Arten gespielt.“ (Nature Genetics, 2025; doi: 10.1038/s41588-025-02117-1)

Quelle: Nature Genetics, University of Cambridge

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