Zoologie

Hellhörige Heringe verwirren Delphine

Maifisch erkennt Herkunft des Ultraschalls

Zentrum der Schallwahrnehmung beim Maifisch © RWTH Aachen

Manche Fische hören offenbar weit besser als bislang angenommen. Wie ein deutsch-amerikanisches Team herausfand, kann der bei Mensch und Delphin gleich beliebte Amerikanische Maifisch (Alosa sapidissima) zuverlässig die Richtung des Ultraschalls erkennen. Diese Fähigkeit war bislang nur von Delphinen und Fledermäusen bekannt. Dabei werten die Fische womöglich Zeitunterschiede zwischen beiden Innenohren aus, die kürzer sind als drei Millionstel Sekunden – jedenfalls sprechen handfeste Indizien dafür.

Lange Zeit glaubte man, Fische könnten nur Töne bis zu einer Höhe von 3000 Hertz wahrnehmen. Entsprechend groß war vor einigen Jahren die Überraschung, als man bei bestimmten Heringsfischarten Reaktionen auf Ultraschall entdeckte. Die Tiere antworteten sogar auf Schallschwingungen bis 180.000 Hertz. Somit könnten sie auch die Ortungslaute ihrer natürlichen Feinde, der Delphine, hören. Zum Vergleich: Menschen sind taub für Töne höher als 20.000 Hertz.

Die überraschende Neuigkeit fanden Wissenschaftler der RWTH Aachen und der University of Maryland, USA heraus. Die Forscher um Dennis Plachta vom RWTH-Lehrstuhl für Biologie II haben den Fischen unter Wasser Ultraschalltöne vorgespielt und mit Elektroden gemessen, wie Hirn und Hörnerv antworten. Zudem haben sie das Verhalten der mit Hering und Sardine eng verwandten Tiere studiert. Dabei offenbarte deren Gehirn eine hoch entwickelte Sinnesleistung. So antworteten einige Hirnzellen nur dann, wenn ein Ton einsetzte oder aber verklang. Manche reagierten ausschließlich auf den Wechsel der Tonhöhe. Und neben Zellen, die mit Salven elektrischer Potenziale feuerten, zeigten andere eine Hemmung ihrer elektrischen Antworten.

Kleinhirn kommt groß raus

Diese Vielfalt der Signalverarbeitung fand sich allerdings nicht im Mittelhirn, wie bei Wirbeltieren zu erwarten, sondern vorwiegend im Kleinhirn, das die Muskulatur steuert. Plachta hat für den ungewöhnlichen Befund eine einleuchtende Erklärung: “Sekundenbruchteile entscheiden hier über Leben und Tod. Daher hat die Evolution den kürzesten Weg zwischen Wahrnehmung und Muskelaktivität verwirklicht. ” Wie eng beide miteinander verknüpft sind, zeigte sich in den Verhaltenstests. Signalisierte die Lautstärke der Ultraschalltöne “Delphin näher als zehn Meter”, dann wechselten die stets in Schwärmen schwimmenden Fische panikartig und unberechenbar ihre Richtung. Die Konsequenz: ein Bewegungschaos, das jeden Verfolger komplett verwirrt.

Bei einer geringeren Lautstärke indes schwammen die Fische geradlinig von der Schallquelle weg. Auch kleine Jungtiere taten dies. Wie erkennen sie die Schallrichtung? Ihr Gehirn könnte die Zeitunterschiede zwischen beiden Ohren auswerten. Die sind allerdings denkbar gering: Bei einem Innenohrabstand von vier Millimetern und einer fünfmal höheren Schallgeschwindigkeit als in Luft betragen sie maximal drei Millionstel Sekunden. Messen die Tiere tatsächlich so winzigen Zeitspannen? Dies macht ein frappierender Befund wahrscheinlich: Bestimmte Kleinhirnzellen feuerten stets im gleichen Zeitabstand zum Erklingen eines Tons. Dabei waren sie offensichtlich präziser als die Messinstrumente. Obgleich diese in Zeitintervallen von nur vier Hundertausendstel Sekunden getaktet waren, zeigte sich nicht die leiseste Abweichung im Zeitverhalten der Zellen.

Vermutlich wird der Ultraschall von spezialisierten Haarzellen im Innenohr aufgefangen. Diese Sinneszellen bilden bei den meisten Wirbeltieren eine einheitliche Schicht. Eine Ausnahme sind die Heringsfische: Ihr Haarzellenteppich ist in drei Parzellen unterteilt – ganz gleich, ob die Spezies taub oder empfänglich für Ultraschall ist. “Hellhörige Heringe” aber zeichnen sich durch eine zusätzliche Besonderheit aus: Bei ihnen verbindet ein elastisches Band die mittlere Parzelle mit einer kleinen, kugelförmigen Kammer im Schädel. Diese Strukturen könnten der Sitz eines eigenen Ultraschallgehörs sein. Dafür spricht eine weitere Beobachtung des deutsch-amerikanischen Teams: Ultraschall lässt frisch geschlüpfte Fischlarven völlig gleichgültig. Erst später, wenn sich im Ohr der ursprünglich einheitliche Haarzellenteppich unterteilt hat, reagieren sie mit Flucht.

(RWTH Aachen, 12.03.2004 – AHE)

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