Cannabis blockiert bei jungen Mäusen die Lernfähigkeit: Fehlt ihnen ein entsprechender Rezeptor, werden sie sogar zu wahren „Strebern“. Doch wehe, sie altern: Dann kehrt sich dieses Ergebnis dramatisch um, wie eine neue Studie jetzt überraschend gezeigt hat.
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Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – eine wissenschaftliche Erklärung für diese alte Weisheit gibt es bislang nicht. Denn niemand weiß, welche molekularen Prozesse tatsächlich zur Abnahme des Lernvermögens mit dem Alter führen. Im Labor versuchen Wissenschaftler, mehr Licht in diese Vorgänge zu bringen.
Schon früh hat man erkannt, dass Mäuse, die gegen die Wirkung von Haschisch genetisch resistent gemacht wurden, in jungen Jahren echte „Lerncracks“ sind. Wissenschaftler der Universität Bonn fanden nun aber Erstaunliches heraus: Die Tiere lernen im Alter paradoxerweise wesentlich langsamer, als ihre für Rauschgifte empfänglichen Artgenossen, und ihr Gehirn altert schneller. Diese Erkenntnisse publizierten sie jetzt im renommierten Wissenschaftsjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Wie sich der Konsum von Haschisch auf die Lernfähigkeit des Konsumenten auswirkt, wird seit langem kontrovers diskutiert. Im Zentrum des Interesses stehen dabei „Cannabinoide“, eine Gruppe rauschfördernder chemischer Substanzen, die in der Hanfpflanze vorkommen, aber auch synthetisch hergestellt werden können und die körpereigene „Endocannabinoide“ nachahmen. Diese Endocannabinoide sind wichtige Botenstoffe bei der Übertragung von Signalen zwischen Nervenzellen. Viele Studien haben gezeigt, dass Cannabinoide die Gedächtnisfunktion negativ beeinflussen können. Der Konsum von Haschisch gilt darum auch als echter „Lernkiller“.
Fehlender Rezeptor als Schlüssel
Um die Wirkung von Haschisch auf Lern- und Gedächnisvorgänge besser zu verstehen, haben Bonner Forscher Mäuse gezüchtet, deren Gehirn ein Rezeptor für die Canabinoide fehlt. Bei diesen „Knockout-Mäusen“ wurden die für die Bildung des so genannten CB1-Rezeptors verantwortlichen Gene gezielt ausschaltet. Damit haben Haschisch oder auch die körpereigenen Cannabinoide bei den Mäusen keine Wirkung mehr. Im Laborversuch sind junge Knockout-Mäuse wahre Streber, die bei Lerntests meist besser abschneiden, als ihre „normalen“ Artgenossen. Bislang hatte man daraus geschlossen, dass das körpereigene Cannabinoid -System einen „bremsenden“ Einfluss auf das Lernvermögen hat.
Aber wehe, wenn die Streber älter werden. Erwachsene Tiere zeigen schon deutlich debile Züge. Das stellten die Forscher aus Bonn gemeinsam mit Kollegen von der Universität Pompeu Fabra in Spanien fest, als sie sich speziell mit dem altersabhängigen Lernen beschäftigten. Die Wissenschaftler stellten dazu junge, erwachsene und alte Knockout-Mäuse vor verschiedene Aufgaben, die Koordination, Erinnerungsvermögen und Verhaltensanpassung erforderten. Tatsächlich zeigten die jungen Knockout-Mäuse wie erwartet größere Lernerfolge.
Verlust von Nervenzellen
Dann die Überraschung: Ihre erwachsenen „Kollegen“ stellten sich bei den Lernübungen wesentlich schlechter an als ihre gleichaltrigen „normalen“ Verwandten. Ihre Lernleistung rangierte nur auf dem Level alter Mäuse des Wildtyps. „Unsere Ergebnisse deuten an, dass das Fehlen des CB1-Rezeptors zu einem rascheren Abbau der Lernfunktion führt“, sagt Professor Zimmer.
Einen weiteren Hinweis fand seine Gruppe in den Gehirnen der Tiere: „Wesentlich früher als der Wildtyp verlieren die Knockout-Mäuse Nervenzellen im Hippocampus.“ Im Hippocampus laufen Informationen aus verschiedenen sensorischen Systemen zusammen, werden weiter verarbeitet und gespeichert. Er ist damit die zentrale Schaltstelle für die Konsolidierung von Gedächnisinhalten in Gehirn.
Für den Bonner Neurowissenschaftler steht fest, dass noch immer zu wenig über die Funktionsweise des körpereigenen Cannabinoidsystems bekannt ist. Inzwischen sind aber bereits Medikamente in der Endphase der klinischen Erprobung und kurz vor der Markteinführung, die den CB1-Rezeptor blockieren. Damit sollen beispielsweise Übergewicht und Nikotinabhängigkeit behandelt werden. Möglicherweise riskant, sagt Professor Zimmer: „Es muss sicher gestellt werden, dass diese Medikamente keine langfristigen Nebenwirkungen haben.“
(Universität Bonn, 12.10.2005 – NPO)