Mysteriöse Todesfälle: Am Ufer des Roopkund-Sees hoch im indischen Himalaya liegen hunderte alter Skelette. Jetzt enthüllen DNA-Analysen, dass diese Toten keineswegs bei einer einzigen Katastrophe starben wie bisher angenommen. Stattdessen liegen bis zu tausend Jahre zwischen ihnen. Rätselhaft auch: Eine Gruppe dieser Toten stammte aus dem Mittelmeerraum – und damit aus einer Gegend tausende Kilometer weit entfernt.
Der nur 40 Meter große Roopkund-See liegt tief im Himalayagebirge auf 5.029 Metern Höhe. Doch trotz seiner entlegenen Lage scheint er in der Vergangenheit überraschend viel Besuch erhalten zu haben. Denn an seinen Ufern liegen hunderte alter Menschenskelette. Wann und warum diese Menschen einst starben, war bislang jedoch ungeklärt. Lokale Legenden nach handelt es sich um eine Pilgergruppe, die von der Göttin Nanda Devi aus Zorn niedergestreckt wurde. Andere vermuten, dass hier einst eine Expedition oder Armeeeinheit von einem Schneesturm überrascht und getötet wurden.
Keine Expedition, keine Epidemie
Was es wirklich mit den Toten vom „Skelett-See“ auf sich hat und woher sie stammten, hat nun erstmals ein internationales Forscherteam unter Leitung von David Reich von der Harvard University und Niraj Rai vom CSIR Forschungszentrum in Hyderabad untersucht. Die Forscher unterzogen dafür Knochenproben von 71 der Roopkund-Skelette DNA-Analysen, Isotopenmessungen und einer Radiokarbon-Datierung.
Das Ergebnis: Unter den Toten sind etwa gleich viel Männer und Frauen, aber keine miteinander näher verwandten Individuen. Das passt nicht zu einer Armeeeinheit oder Expedition, aber auch nicht zu einer Gruppe aus Familien oder eng verwandten Pilgern. „Wir haben auch keine Hinweise auf eine Infektion mit bakteriellen Erregern gefunden, was gegen die Annahme spricht, dass diese Toten Opfer einer Epidemie wurden“, sagen die Forscher.
Tote auch aus dem Mittelmeerraum
Wer aber waren diese Toten dann? Einen ersten Hinweis lieferten die DNA-Analysen der Knochenproben: „Die Genetik der Skelette überraschte uns sehr“, berichtet Erstautorin Eadaoin Harney von der Harvard University. Denn die Toten stammten keineswegs nur aus der näheren Umgebung. So waren 23 Individuen zwar indischer Abstammung, kamen aber aus ganz unterschiedlichen Regionen des Subkontinents.
Noch überraschender aber war die Herkunft von 14 weiteren Toten: Sie wiesen eine für den Mittelmeerraum typische Gensignatur auf. „Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie Migranten aus dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem sehr untypischen Abstammungsprofil für diese Region, hierher gelangten und an diesem Ort verstarben“, sagt Reich. Ein weiterer Toter stammte aus Südostasien. Damit gehörte schon die kleine Stichprobe der bisher untersuchten Skelette zu drei verschiedenen Herkunftsgruppen.
Zwischen den Todesfällen liegen tausend Jahre
Rätselhaft ist auch das Ergebnis der Datierungen: Sie enthüllten, dass diese Menschen nicht alle zur gleichen Zeit bei einem Ereignis gestorben sein können. Stattdessen liegen zwischen den indischen und mediterranen Toten rund tausend Jahre: Die Gruppe indischer Abstammung starb im siebten bis zehnten Jahrhundert, die Gruppe aus dem Mittelmeerraum dagegen erst im 17. bis 20. Jahrhundert. „Diese Ergebnisse demonstrieren, dass die Skelette von Roopkund-See bei mindestens zwei getrennten Ereignissen gestorben sein müssen“, erklären Reich und sein Team.
Aber bei welchen? Zumindest für die Gruppe der indischen Toten haben die Forscher eine Hypothese: „Der Roopkund-See liegt zwar an keiner großen Handelsroute, aber er ist Teil einer Pilgeroute – der Nanda Devi Raj Lat-Wallfahrt, die noch heute alle zwölf Jahre stattfindet“, erklären sie. Inschriften in nahegelegenen Tempeln deuten darauf hin, dass diese Pilgerreisen schon vor 1.200 Jahren stattfanden. Zumindest ein Teil der indischen Toten könnte daher bei einer solchen Wallfahrt zu Tode gekommen sein.
Rätsel um Mittelmeer-Tote bleibt
Deutlich schwerer zu erklären ist dagegen die zweite Gruppe, die Toten aus dem Mittelmeerraum. „Es ist verlockend, in diesen Menschen Abkömmlinge der indo-griechischen Populationen aus der Zeit Alexanders des Großen zu sehen“, so die Forscher. Aber dann müsste deren Erbgut zumindest Spuren einer Vermischung mit lokalen Populationen zeigen – was nicht der Fall war.
„Stattdessen sprechen die Daten dafür, dass wir hier eine Gruppe von nicht miteinander verwandten Männern und Frauen haben, die während der Zeit der Ottomanen-Herrschaft im östlichen Mittelmeerraum geboren wurden“, erklären Reich und sein Team. Dass diese Menschen an einer hinduistischen Pilgerreise teilgenommen haben, sei eher unwahrscheinlich. Warum sie diesen entlegenen See im Hochland des indischen Himalaya aufsuchten und wie sie dort starben, bleibt damit ungeklärt.
„Dass hier Individuen aus dem Mittelmeerraum gefunden wurden, lässt vermuten, dass der Roopkund-See nicht nur von lokalem Interesse war, sondern dass Menschen aus der ganzen Welt hierherkamen“, sagt Harney. Rai ergänzt: „Was die Menschen letztendlich hierher führte und wie sie zu Tode kamen, bleibt bislang unklar. Wir hoffen, dass dieser ersten Untersuchung viele weiter folgen werden, um diese Fragen zu klären.“ (Nature Communications, 2019; doi: 10.1038/s41467-019-11357-9)
Quelle: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte