Das Aids-Virus greift nicht nur die Zellen des Immunsystems an, es schädigt auch Stammzellen im Gehirn und verhindert so die Bildung neuer Nervenzellen. Diese jetzt in „Cell“ erschienene Erkenntnis erklärt erstmals, warum und wie eine HIV-Infektion auch zu kognitiven Ausfällen und sogar Demenz führen kann.
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Schon seit langem ist bekannt, dass es bei einer HIV-Infektion auch zu einer schweren Form der Demenz kommen kann. In den letzten Jahren haben die Fortschritte in der antiviralen Therapie solche Fälle zwar zunächst selten werden lassen, doch mit der längeren Überlebenszeit von Aidskranken steigt die Häufigkeit solcher Gedächtnisstörungen wieder an. Eine Ursache davon ist auch, dass die Aidsmedikamente meist nur in geringen Mengen zum Gehirn durchdringen können. Dadurch entsteht eine Art „verborgenes Reservoir“ von HIV-Viren, das jederzeit zu einer Verschlechterung des Zustands und dem Ausbruch einer Demenz führen kann.
Protein greift neuronale Stammzellen an…
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Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in San Diego sind nun dem Mechanismus, der diese Demenz hervorruft, auf die Spur gekommen. In Versuchen an Mäusen stellten sie fest, dass ein Protein an der Oberfläche des Virus schuld an seiner zerstörerischen Wirkung ist. Es trägt nicht nur dazu bei, ausgewachsene Gehirnzellen zu zerstören, sondern verhindert auch die Bildung neuer Neuronen, indem es deren Vorläuferzellen, eine Art neuronaler Stammzellen, schwer schädigt.
„Der Durchbruch ist die Erkenntnis, dass das Aidsvirus die Stammzellen im Gehirn an der Teilung hindert, es blockiert sie“, erklärt Stuart Lipton von der Universität von Kalifornien in San Diego. „Es ist das erst Mal, dass gezeigt wurde, dass das Virus Stammzellen angreift.“ Sein Kollege Marcus Kaul ergänzt: „Es ist ein Doppelschlag für das Gehirn: Es bewirkt Schäden im Gehirn und verhindert gleichzeitig ihre Reparatur.“
…und vernichtet adulte Neuronen
Das Forscherteam stellte fest, dass die Hirnschäden auch in Abwesenheit des Virus ausgelöst werden können, allein indem das Oberflächenprotein gp120 injiziert wird. Das Protein entfaltet seine Wirkung besonders stark im Hippocampus, einer für das Lernen und das Gedächtnis entscheidenden Gehirnregion. Hier werden normalerweise neu gebildete Neuronen in die bestehenden Schaltkreise integriert und tragen so zur Speicherung neuer Eindrücke und Erfahrungen bei. Das Protein greift gleichzeitig auch in einen bestimmten Stoffwechselweg von adulten Zellen ein, den so genannten MAPK-pathway. Funktioniert er nicht richtig, ist der Tod der Neuronen die Folge.
Dass der Tod von adulten Neuronen und die Blockade der Neubildung von Ersatzzellen über ein und den selben Mechanismus erfolgt, ist nach Ansicht der Forscher geradezu ein Glücksfall. „Jetzt, wo wir den Mechanismus kennen, können wir damit beginnen, therapeutische Wege zu entwickeln“, erklärt Lipton. „Wir könnten möglicherweise diese Demenzform behandeln, in dem wir entweder den Reparaturmechanismus schützen oder fördern.“
(Cell Press, 16.08.2007 – NPO)