Verhaltensforschung

Hunde als „Gedankenleser“

Vierbeiner erkennen, ob wir uns irren oder sie absichtlich täuschen

Hund
Hunde erkennen, ob wir die Wahrheit kennen oder nicht. © sssss1gmel/ Getty images

Durchschaut: Hunde können erkennen, ob wir sie absichtlich in die Irre führen oder selbst einer Täuschung unterliegen. Sie gehören damit zu den wenigen Tieren, die sich in dieser Form in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können, wie ein Experiment belegt. Dabei folgten die Hunde einem falschen Fingerzeig auf verstecktes Futter eher, wenn der Mensch selbst glaubte, das Futter läge noch dort. Überraschenderweise war dies aber bei einer Hunderasse, den Terriern, umgekehrt.

Hunde sind perfekt an ihr leben mit uns Menschen angepasst: Sie erkennen unseren Gesichtsausdruck, folgen unseren Blicken, deuten unseren Tonfall und verstehen sogar unsere Sprache – zumindest in Form einiger Wörter. Zudem können die Vierbeiner in gewissem Maße erraten, was ein Mensch weiß oder nicht: War er bei einer Aktion nicht im Raum, begreifen sie, dass er eher „unwissend“ ist. Diese Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen – Theory of Mind genannt – entwickelt sich selbst bei menschlichen Kindern erst mit etwa vier Jahren.

FAlser-BElief-Test
Hund beim False-Belief-Test. © Lucrezia Lonardo/Clever Dog Lab Vienna

Der False-Belief-Test

Wie weit dieses Sich-Hineinversetzen reicht und welche Konsequenzen die Hunde für ihr Verhalten daraus ziehen, haben nun Lucrezia Lonardo von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und ihre Kollegen mit einem sogenannte „False-Belief-Test“ untersucht. Für die Studie ließen sie gut 200 Hunde verschiedener Rassen dabei zusehen, wie eine Experimentatorin zunächst ein Futterstück unter einem von zwei Behältern versteckte. Kurz darauf wechselte sie das Versteck zum anderen Behälter.

Eine zweite Person beobachtete entweder nur das erste Verstecken oder war auch Zeugin des Wechsels. Im nächsten Schritt zeigte sie mit einer Geste auf den jeweils leeren Behälter – als ob sie den Hunden die Lage des Futters zeigen wollte. In einem Fall war dies ein bewusste Irreführung (True Belief) im zweiten aber ein Irrtum, der auf den Annahmen der Beobachterin beruhte: Weil sie den Wechsel nicht gesehen hatte, musste sie annehmen, dass das Futter noch unter Behälter A lag.

Irregeführt trotz besseren Wissens

Wie würden sich die Hunde verhalten? „Wenn die Hunde sich nur auf ihre eigene Beobachtung verlassen, müssten sie ungeachtet der Fingerzeige den richtigen Behälter mit dem umgelagerten Futter wählen“, erklärt das Team. Reagieren sie auf die Gesten, stellt sich die spannende Frage, ob die Hunde erkennen, dass die Beobachterin in einem Falle die Wahrheit kennt, im anderen aber nicht.

Die Tests ergaben: Gut 60 Prozent der Hunde vertrauten lieber ihren eigenen Augen als den Fingerzeigen der Experimentatorin. Sie wählten den richtigen, futtergefüllten Behälter auch wenn der Mensch auf den anderen zeigte. Rund 38,5 Prozent der Tiere ließen sich jedoch in die Irre führen: Sie folgten der Geste und steuerten den leeren Behälter an, obwohl sie zuvor selbst den Futterplatzwechsel mit angesehen hatten. Zumindest einige Hunde scheinen demnach dem Menschen mehr zu trauen als ihren eigenen Beobachtungen.

Hunde erkennen die Annahme der Zeigerin

Interessant war aber, wann die Hunde den irreführenden Gesten folgten: „Die Mehrheit von ihnen folgte den Gesten, wenn die Zeigerin zuvor nicht den Futterwechsel gesehen hatte“, berichten Lonardo und ihre Kollegen. In diesen Durchgängen entschieden sich 48 Prozent der Hunde für den gezeigten, aber leeren Behälter. Hatten die Hunde dagegen beobachtet, dass die Zeigerin auch beim Futterwechsel präsent war, glaubten ihr nur 29 Prozent.

Damit demonstrieren die Hunde, dass sie den Unterschied zwischen einer wahren und einer falschen Überzeugung beim Menschen erkennen können. Sie reagieren anders, wenn der Mensch selbst glaubt, was er ihnen vermittelt. Das bestätigt, dass sich Hunde in die Annahme des Menschen hineinversetzen können und demnach die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel besitzen.

Anders als Kinder und Menschenaffen

Überraschenderweise reagieren die Hunde dabei aber genau umgekehrt als kleine Kinder oder Menschenaffen: Während diese eher denjenigen folgen, die die richtige Lösung kennen, lassen sich die Hunde eher von denjenigen leiten, die selbst einem Irrtum aufsitzen. „Dieses Ergebnis war überraschend“, sagt Lonardos Kollege Ludwig Huber.

Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass die Hunde den Fehler der unwissenden Zeigerin zwar erkannten, ihm aber aus „Gutmütigkeit“ folgten. Das passt zu früheren Studien, nach denen Hunde oft versuchen, ihren Besitzern zu gefallen – selbst wenn sie es eigentlich besser wissen. „Das könnte erklären, warum mehr Hunde im False-Belief-Szenario der Geste folgten“, erklären die Forschenden. Die Irreführung durch die wissende Zeigerin könnten dagegen ihr Misstrauen gegenüber betrügerischen Absicht geweckt haben.

Terrier
Terrier verhielten sich anders als stärker auf Kooperation gezüchtete Hunderassen. © Wavetop/ Getty images

Terrier sind anders

Allerdings gab es unter den Hunden eine Ausnahme: Während die meisten Hunderassen dem gutgläubigen Menschen eher vertrauten, taten dies die Terrier nicht. „Sie ließen sich nicht nur seltener von den Gesten leiten und entschieden unabhängig – wenn sie dem Fingerzeigt folgten, reagierten sie auch genau umgekehrt wie Bordercollies, Vorstehhunde oder Retriever“, berichten Lonardo und ihr Team.

Die Forschenden führen diese erstaunlich abweichende Reaktion der Terrier auf Unterschiede in der Zuchtwahl und den Einsatzzweck dieser Rassen zurück: Terrier sind wie Jagdhunde und Windhunde darauf gezüchtet, selbständig und unabhängig von direkten Hinweisen des Menschen auf die Jagd zu gehen oder andere Aufgaben zu erfüllen. Bordercollies oder Retriever gehören dagegen zu den Hunderassen, die besonders eng mit dem Menschen zusammenarbeiten. Sie sind auf Kooperation hin gezüchtet.

„Möglicherweise machte diese Zuchtwahl die kooperativen Rassen geschickter darin, absichtliche Täuschung beim Menschen zu erkennen“, mutmaßen die Forschenden. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.0906)

Quelle: Veterinärmedizinische Universität Wien

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