Kleinkinder lernen ab dem zweiten Lebensjahr im Schnitt zehn neue Wörter pro Tag. Dabei lernen sie die Bezeichnungen von den Dingen in ihrer Welt nicht nur durch explizite Erläuterung, sondern auch, indem sie sich die Bezeichnung von Gegenständen im Ausschlussverfahren erschließen. Dabei ging man bisher davon aus, dass dieser Mechanismus des „schnellen Zuordnens“ oder „fast mapping“ eine nur dem Menschen eigene Fähigkeit sei. Doch jetzt haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nachgewiesen, dass „fast mapping“ auch bei Hunden vorkommen kann.
Die Forscher haben diese Fähigkeit bei einem Bordercollie identifiziert, der zu Beginn der Studie bereits die Namen von mehr als 200 verschiedenen Gegenständen kannte. Sein „Vokabular“ ist damit dem sprachtrainierter Affen, Delfine, Seelöwen oder Papageien vergleichbar. Forderte man ihn auf, einen Gegenstand mit einem neuen Namen zu bringen und ließ ihn dazu aus einer Reihe bekannter und einem unbekannten Objekt auswählen, so wählte der Hund im Ausschlussverfahren das unbekannte. Auf diese Weise lernte das Tier nicht nur den Namen des neuen Objekts, sondern merkte ihn sich sogar über mehrere Wochen. „Fast mapping“ beruht folglich auf generellen Lernmechanismen, die der Mensch mit Hunden und möglicherweise auch noch mit anderen Tieren teilt.
Hypothesen helfen bei der Zuordnung
Kleinkinder lernen die Bezeichnungen von den Dingen in ihrer Welt nicht nur durch explizite Erläuterung, sondern können sich diese auch indirekt erschließen. In einem klassischen Experiment fordert man Kinder auf, das „chromfarbene Tablett zu bringen, und nicht das rote“. Lässt man die Kinder anschließend zwischen einem roten und einem olivgrünen Tablett auswählen, so bringen sie das olivgrüne, auch wenn sie den Namen „chromfarben“ noch nie gehört hatten. Dieser Prozess, ungefähre Hypothesen über den Zusammenhang zwischen Namen und Dingen zu entwickeln, wird als ‚fast mapping’ oder ‚schnelles Zuordnen’ bezeichnet.
Kinder sind also in der Lage, sich die Bezeichnung von Gegenständen im Ausschlussverfahren zu erschließen, und die auf diese Weise erworbene Kenntnis in ihren Wortschatz zu integrieren. Frühe Studien gingen davon aus, dass dies eine spezielle Anpassung an das Lernen von Sprache ist und deswegen nur beim Menschen vorkommt. Andererseits könnte es aber auch sein, dass diese Form des Lernens durch Ausschluss auf generellen Lernmechanismen beruht, die der Mensch möglicherweise mit anderen Tieren teilt. Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie um Julia Fischer sind daher der Frage nachgegangen, ob auch ein Hund in der Lage sein könnte, die Beziehung zwischen einem Wort und dem Objekt, auf welches sich das Wort bezieht, auf indirekte Weise zu lernen.
Ihr Versuchstier war ein Bordercollie mit dem Namen „Rico“, der vor Versuchsbeginn bereits die Namen von über 200 Spielzeugen kannte. Diese Fähigkeit hatte Rico bereits vor fünf Jahren in der Sendung „Wetten dass?“ unter Beweis gestellt. Zunächst testeten die Wissenschaftler, ob der Hund auch unter kontrollierten Bedingungen, d.h. in Abwesenheit seiner Besitzerin, in der Lage sein würde, die richtigen Gegenstände zu apportieren. Im Anschluss testeten die Lernforscher, ob er die Bezeichnung von neuen Gegenständen im Ausschlussverfahren lernen und sich merken kann.
Spielzeug als Testobjekte
Im ersten Experiment bildeten die Wissenschaftler aus den 200 dem Hund bekannten Spielzeugen 20 Sets zu je 10 Gegenständen. Die Versuchsleiterin verteilte die 10 Gegenstände im Versuchsraum, während der Hund und seine Besitzerin im Nachbarraum warteten. Die Besitzerin forderte dann den Hund auf, erst einen und danach einen anderen jeweils zufällig ausgewählten Gegenstand zu bringen. Der gesamte Versuchsablauf wurde auf Video aufgezeichnet. Während der Hund nach dem gewünschten Gegenstand suchte, konnte er weder seine Besitzerin noch die Versuchsleiterin sehen. In 37 von 40 Fällen brachte er den richtigen Gegenstand. Das Experiment zeigte also, dass der Hund diese Gegenstände und ihre Namen tatsächlich kannte.
Um nun zu testen, ob der Hund auch zum „fast mapping“ in der Lage ist, boten die Forscher ihm ein völlig neues, unbekanntes Spielzeug zusammen mit sieben ihm bereits bekannten Objekten an. Zunächst forderten sie den Hund auf, einen der bekannten Gegenstände zu apportieren. Erst im zweiten oder dritten Versuch eines Durchgangs nannte die Besitzerin dann ein völlig neues Wort („Rico! Wo ist der xyz?“). In insgesamt zehn Durchgängen führten die Wissenschaftler insgesamt zehn neue Objekte ein, die Rico identifizieren sollte. Er brachte vom ersten Versuchsdurchlauf an im Test den neuen Gegenstand und lag insgesamt in sieben von zehn Fällen richtig. Offensichtlich konnte er tatsächlich das neue Wort im Ausschlussverfahren mit dem neuen Gegenstand in Verbindung bringen, entweder weil er wusste, dass die ihm bekannten Objekte bereits Namen hatten oder weil sie eben nicht neu waren.
„Fast-mapping“ Erkenntnisse bleiben erhalten
Vier Wochen nach diesem Versuch überprüften die Wissenschaftler, ob der Hund sich die Bezeichnungen der neuen Gegenstände auch gemerkt hatte. Dabei hatte er in der Zwischenzeit keinen Zugang zu diesen Dingen, und auch die Namen wurden nicht wieder genannt. In diesem Test verwendeten die Max-Planck-Forscher nur Objekte, die der Hund zuvor erfolgreich identifiziert hatte. Sie platzierten nun jeweils eines dieser Zielobjekte zusammen mit vier absolut neuen und vier ihm bereits bekannten Gegenständen in einem Raum. Zunächst forderten die Forscher den Hund auf, ein ihm bekanntes Objekt und dann (im zweiten und dritten Versuch) das Zielobjekt zu bringen.
Und tatsächlich – auch vier Wochen nach der ersten und einzigen Konfrontation mit diesem Gegenstand apportierte der Hund das Zielobjekt korrekt in drei von sechs Durchgängen. Auch wenn dies nicht perfekt ist, so ist diese Erfolgsquote vergleichbar mit der von dreijährigen Kindern. In den anderen Fällen brachte der Hund einen der unbekannten Gegenstände, aber nie einen der zuvor bekannten. Die Forscher wiederholten anschließend das Experiment und führten zunächst einen weiteren Identifikationsdurchgang mit neuen Gegenständen durch und testeten dann 10 Minuten später, ob der Hund sich die Kombination zwischen neuem Wort und neuem Objekt gemerkt hatte. Der Hund lag hier in vier von sechs Fällen richtig.
usnahmehund oder die Regel?
Zu klären bleibt, inwiefern Ricos Leistungen auf seine außergewöhnliche Auffassungsgabe zurückzuführen sind oder im Prinzip auch bei anderen Hunden zu finden sind. Zweifelsohne ist Rico überdurchschnittlich motiviert und verfügt über langjährige Erfahrung damit, dass seine Spielzeuge Namen haben. Im allgemeinen gelten Bordercollies als sehr arbeitswillig und motiviert, und viele werden als Schäferhunde oder im Rettungsdienst eingesetzt. Systematische Unterforderung kann bei ihnen aber auch dazu führen, dass sie aggressiv werden. Generell ist davon auszugehen, dass bevorzugt solche Hunde in der Zucht eingesetzt werden, die auf die Absichten von Menschen achten und sich relativ einfach dressieren lassen. Allerdings handelt es sich bei Ricos Leistungen in den Experimenten keineswegs um Dressur – in der Fachsprache als ‘operante Konditionierung’ bezeichnet. Seine Fähigkeit, im Ausschlussverfahren das richtige Objekt zu identifizieren, stellt vielmehr eine eigenständige Transferleistung dar und kann als einsichtiges Verhalten bezeichnet werden.
Der Hund „Rico“ ist also in der Lage, abstrakte akustische Signale (menschliche Worte) mit spezifischen Gegenständen in seiner Umwelt zu verbinden. Offensichtlich kann er durch seine umfassende Erfahrung beim Lernen von Bezeichnungen die Regel aufstellen, dass Dinge Namen haben. Dies ermöglichte ihm, im Ausschlussverfahren ein neues unter einer Anzahl von bekannten Objekten zu identifizieren und mit dem neuen Namen in Verbindung zu bringen.
Dieses Verhalten des Hundes ist dem so genannte „Vermeiden lexikalischer Überlappung“ äquivalent, das man bei Kindern beobachten kann. Dieses Wissen über eine Verbindung zwischen Wort und Gegenstand erinnerte der Hund auch noch nach vier Wochen. „Diese kognitiven Fähigkeiten, die es einem Tier erlauben, eine Vielzahl von Klängen und Geräuschen richtig zu interpretieren, scheint sich also unabhängig und viel früher als die Fähigkeit entwickelt zu haben, diese akustischen Signale auch selber zu produzieren, also sprechen zu können“, sagt Julia Fischer, Leiterin einer Forschergruppe am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
(MPG, 14.06.2004 – NPO)