Geburtstreff: Paläontologen haben herausgefunden, dass riesige Meeressaurier schon vor über 200 Millionen Jahren in sichere Gewässer wanderten, um dort gemeinsam ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen. Damit haben die Wissenschaftler ein jahrzehntealtes Rätsel um einen Ichthyosaurier-Friedhof im US-Bundesstaat Nevada gelöst, an dem mindestens 37 erwachsene Shonisaurier ihr Ende fanden. Dass dort ebenfalls die Überreste von neugeborenen, nicht aber von jugendlichen Tieren oder von Beutetieren lagern, deutet auf eine Kreißsaal-Funktion der Gewässer hin.
Die heutigen Giganten der Meere wie Blauwale oder Buckelwale durchwandern regelmäßig die Ozeane. Im Winter zieht es sie in tropische, raubtierarme Gewässer, wo sie ihre Jungen zu Welt bringen, und im Sommer wandern sie zur Nahrungssuche in kühle Polargewässer. Auch im Zeitalter der Dinosaurier bevölkerten riesige, lebendgebärende Tiere die Meere: die Fischsaurier (Ichthyosaurier). Unternahmen sie ähnliche Wanderungen wie heutige Wale?
Friedhof der Meeresriesen
Forschende um Neil Kelley vom National Museum of Natural History in Washington gehen davon aus, dass auch Ichthyosaurier zur Geburt ihrer Jungen sichere Gewässer mit wenigen Räubern aufsuchten. Das leiten sie aus der umfassenden Analyse eines Shonisaurus-Friedhofs im US-Bundesstaat Nevada ab. Shonisaurier waren mit bis zu 26 Metern Länge die größten Fischsaurier aller Zeiten. Sie gehörten vor über 200 Millionen Jahren zu den Top-Prädatoren der Meere und ähnelten vom Aussehen her heutigen Delfinen. Wie diese waren sie bereits lebendgebärend, schwammen allerdings mit vier Flossen.
Mindesten 37 erwachsene Shonisaurier der Art Shonisaurus popularis fanden an einer Fossilienstätte im heutigen Nevada, dem Berlin-Ichthyosaur State Park, ihr Ende. Sieben von ihnen starben wahrscheinlich sogar zur gleichen Zeit und dicht beieinander. Was die sechzehn Meter langen Tiere tötete, war ein halbes Jahrhundert lang ein Rätsel. Waren die Fischsaurier gestrandet? Hatte eine toxische Algenblüte sie vergiftet?
Um dieses Rätsel zu lösen, untersuchten Kelley und seine Kollegen die Grabungsstätte noch einmal neu und arbeiteten dabei mit einer großen Vielfalt an wissenschaftlichen Methoden. Unter anderem kartierten sie alle Fossilien, die im Berlin-Ichthyosaur State Park gefunden wurden, und testeten das umgebende Gestein auf mögliche Zeugnisse von Naturkatastrophen, unter anderem auf Vulkanausbrüche und auf einen plötzlichen Sauerstoffabfall im Wasser. Auch 3D-Scans kamen zum Einsatz.
Geburtsgewässer statt Kataklysmus
Das Ergebnis: Eine Naturkatastrophe konnten Kelley und seine Kollegen als Todesursache ausschließen. Weder fanden sie Hinweise auf einen Vulkanausbruch noch auf plötzliche Sauerstoffarmut noch auf eine Strandung entlang der Küstenlinie, denn die Tiere waren nach ihrem Tod auf den Meeresboden hinabgesunken.
Den entscheidenden Hinweis brachte schließlich die Analyse der Fossilien. „Es gibt so viele große, erwachsene Skelette dieser einen Art an diesem Ort und fast nichts anderes“, sagt Kelleys Kollege Nicholas Pyenson. „Es finden sich dort so gut wie keine Überreste von Fischen oder anderen Meeresreptilien, von denen sich diese Ichthyosaurier ernähren könnten, und es gibt auch keine jugendlichen Shonisaurus-Skelette.“ Dafür stieß das Forschungsteam erstmals auf winzige Ichthyosaurierreste, die es als embryonale und neugeborene Shonisaurier identifizierte.
„Als klar wurde, dass es hier nichts für sie zu fressen gab und dass es große erwachsene Shonisaurier zusammen mit Embryonen und Neugeborenen, aber keine jugendlichen Tiere gab, begannen wir ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ob dies ein Geburtsplatz gewesen sein könnte“, erklärt Kelley. Demnach könnten Shonisaurier ebenso wie heutige Wale regelmäßig zur Geburt ihrer Jungen bestimmte Meeresgebiete aufgesucht haben.
Wanderungen über Generationen hinweg
Diese Wanderungen zu den Geburtsplätzen fanden offenbar über Hunderttausende oder sogar Millionen von Jahren statt, wie die Forschenden herausfanden. Das verrät die große Altersspanne der verschiedenen Fossilienschichten, in denen die Shonisaurier-Skelette überdauerten. „Die Tatsache, dass wir an diesen verschiedenen Stellen dieselbe Art mit demselben demografischen Muster über die geologische Zeit hinweg gefunden haben, zeigt uns, dass dies ein bevorzugter Lebensraum war, in den diese großen Meeresräuber über Generationen hinweg zurückkehrten“, so Pyenson.
Dabei kam es hin und wieder vor, dass einzelne Tiere in den Geburtsgewässern starben, beispielsweise bei der Geburt, an Krankheit oder Altersschwäche. Dank ihrer versteinerten Überreste konnten Kelley und sein Team nun erstmals nachweisen, dass auch schon vor 230 Millionen Jahren riesige Meeresreptilien zum Gebären in sichere Gewässer zogen – so wie moderne Wale. (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.11.005)
Quelle: Smithsonian, Current Biology