Nicht lecker: In unserem Mund tummeln sich nicht nur hunderte Arten einzelliger Bakterien, sondern sogar Mehrzeller. Diese raupenartigen Fäden heften sich an die Oberflächen unserer Mundhöhle an und können bis zu sieben Mikrometer lang werden. Wie diese mehrzelligen Fäden zustande kommen und warum, haben Forschende jetzt herausgefunden. Demnach entwickelten sich diese bakteriellen Mehrzeller durch eine ungewöhnliche und unvollständige Teilung aus ursprünglich stäbchenförmiger Einzelzellen.
In unserer Mundhöhle wimmelt es von Leben: Mehr als 700 Bakterienarten tummeln sich auf Zunge, Zahnfleisch oder Zähnen. Die meisten dieser bakteriellen Mitbewohner sind harmlos, aber auch die Verursacher von Karies und Parodontitis sind darunter. Sie schützen sich oft mit speziellen Biofilmen gegen die in unserem Speichel enthaltenen Abwehrstoffe. Als wäre dies nicht genug, finden sich bei manchen Menschen auch parasitische Amöben im Mund – sie tragen zu Zahnfleischentzündungen bei.
Raupenförmige Bakterien-Mehrzeller in unserem Mund
Doch das ist noch nicht alles: Neben den unzähligen einzelligen Mitbewohnern verstecken sich bei rund der Hälfte von uns sogar mehrzellige Organismen in der Mundhöhle. Dabei handelt es sich um raupenförmige Gebilde, die bis zu sieben Mikrometer lang werden können und an den Oberflächen des Mundinneren festhaften. Sie bestehen aus Bakterien der Familie Neisseriaceae, die durch unvollständige Zellteilung zu immer längeren Fäden heranwachsen.
Diese Bakterien haben damit eine frühe Form der Mehrzelligkeit entwickelt – möglicherweise in Anpassung an das Überleben unter den schwierigen Bedingungen unserer Mundhöhle. „Die Multizellularität ermöglicht die Zusammenarbeit zwischen den Zellen, zum Beispiel in Form von Arbeitsteilung, und könnte daher den Bakterien helfen, Ernährungsstress zu überleben“, erklären Sammy Nyongesa vom INRS-Forschungszentrum in Kanada und seine Kollegen. Nach bisherigen Erkenntnissen sind diese Bakterienraupen aber nicht krankmachend, sondern nur harmlose „Mitesser“.
Ungewöhnliche Längsteilung
Wie sich diese Bakterien teilen und wie sie zu solchen „Raupen“ wurden, haben die Forschenden erstmals näher untersucht. Dabei hatten sie vor allem eine Auffälligkeit im Blick: Die Fäden bestehen aus Stapeln von länglichen Zellen, die mit ihrer Längsseite aneinanderheften und sich längs teilen. „Das ist außergewöhnlich, denn stäbchenförmige Bakterien vermehren sich normalerweise, indem sie länger werden und sich dann quer teilen“, erklärt das Team.
In Testkulturen dieser mehrzellige Neisseriaceae konnten die Wissenschaftler erkennen, dass die neuen Zellwände der länglichen Bakterien dabei jeweils von einer Seite in den Faden hineinwachsen. „Das Septum schiebt sich wie eine Guillotine in die Einzelzellen und teilt sie von ihrem Hinterende beginnend längs“, berichten Nyongesa und seine Kollegen. In jedem Faden wechseln dabei Zellen mit schon abgeschlossener Septumbildung mit Zellen, die erst mit ihrer Teilung beginnen ab. Demnach erfolgt dieses Wachstum der Zellraupe offenbar koordiniert.
Wie aus quer längs wurde
Doch wie kam es zu dieser für Stäbchenbakten so ungewöhnlichen Teilungsrichtung? Waren die Ursprungszellen möglicherweise einst rund? Aus Zell- und Genvergleichen verschiedener Arten innerhalb der Neisseriaceae schließen die Forschenden, dass dem nicht so war. Stattdessen waren die Vorfahren dieser mehrzelligen Arten ganz normale sich quer teilende Stäbchenbakterien.
Erst im Laufe der Entwicklung veränderten die Stäbchen ihre Form und wuchsen in die Breite statt Länge. Dadurch entwickelten sie ihre ungewöhnliche Längsteilung. „Wir vermuten, dass sich die Zellform im Laufe der Evolution durch eine Überarbeitung der Verlängerungs- und Teilungsprozesse verändert hat, vielleicht, um in der Mundhöhle besser gedeihen zu können“, sagt Koautor Frédéric Veyrier vom INRS.
„Die raupenförmigen Neisseriaceae sind die einzigen multizellulären, sich längs teilenden Bakterien, die im Menschen leben“, erklären die Wissenschaftler. Einige eng verwandte und ebenfalls mehrzellige Arten kommen jedoch auch in den Mundhöhlen einiger Säugetiere vor. Ihre Evolution und Lebensweise zu erforschen, kann daher wertvolle Erkenntnisse über solche Mitbewohner liefern. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-32260-w)
Quelle: Nature Communications , Universität Wien