Der Riechsinn der Insekten unterscheidet sich radikal von dem der anderen Organismen. Anstatt einer langen Kaskaden von Einzelschritten nutzen die Insekten quasi eine Überholspur: schnell reagierende Ionenkanäle. Diese jetzt in „Nature“ veröffentlichte Erkenntnis widerspricht den klassischen Annahmen über die Evolution – und überrascht die Forscher.
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Der Stammbaum des Lebens repräsentiert den Weg und die Zeit, die die Entwicklung der Arten im Laufe der Evolution benötigte. Jetzt allerdings könnte dieser Stammbaum neu gezeichnet werden müssen – zumindest in Bezug auf die Insekten. Seit 1991 galt die Lehrmeinung, dass Wirbeltiere und Wirbellose mithilfe eines komplexen biologischen Prozesses riechen. Dabei binden die Duftstoffmoleküle zunächst an ein großes Eiweiß auf der Oberfläche der Schleimhautzellen, den so genannten G-Protein gekoppelten Riechrezeptor. Dies löst wiederum eine ganze Kette von Reaktionsschritten aus, die letztlich dazu führen, dass ein Signal an das Gehirn geschickt wird, dass ein Duftstoff präsent ist.
Ein Prozess mit – normalerweise – vielen Zwischenschritten
„Auf diese Weise läuft es bei den Fadenwürmern, bei den Säugetieren, in jedem bekannten Wirbeltier“, erklärt Leslie Vosshall, Leiter des Labors für Neurogenetik und Verhalten an der Rockefeller Universität. „Daher ist es eigentlich unlogisch anzunehmen, dass Insekten eine total andere Strategie zum Riechen nutzen. Aber jetzt haben wir gezeigt, dass die Insekten die gesamten Zwischenschritte rausgeschmissen haben und das Signal direkt auslösen.“
Das Signal wird durch einen Ionenkanal in Gang gesetzt, ein ringförmiges Protein in der Zellwand der Riechzellen. Wenn Moleküle sich an dieses Protein binden, ändert es seine Form wie ein Tor und öffnet sich oder schließt sich. Ist es offen, strömen Millionen von Ionen in die Zelle ein und lösen das Signal an das Gehirn aus. Normalerweise geht diesem Öffnen eine Kaskade von Zwischenschritten voraus.
Ionenkanal direkt aktiviert
Doch in Experimenten an in Kultur gehaltenen Riechzellen beobachteten Vosshall und sein Kollege Kazushige Touhara, dass sich das Öffnen bei den Insektenriechzellen viel zu schnell ereignet, als dass Zwischenschritte möglich wären. Um das zu bestätigen, blockierten die Forscher eine Reihe von Proteinen, die normalerweise Teil dieses Prozesses sind und testeten, ob sich der Ionenkanal dennoch öffnete. Tatsächlich war dies der Fall.
Demnach ist die G-Protein-Kette für das Riechen der Insekten – im Gegensatz zu nahezu allen anderen Tieren – nicht notwendig. Und dies widerspricht der geltenden Lehrmeinung deutlich. „Die schlüssigste Interpretation der Experimente ist aber, dass die Ionenkanäle direkt durch die Duftstoffe gesteuert werden“, so Vosshall.
Und noch etwas erstaunte die Wissenschaftler: „Diese Ionenkanäle ähneln keinem der bisher bekannten“, so Vosshall. Sie bestehen aus zwei Proteinen, die als Tandem zusammen arbeiten, einem Riechrezeptor und seinem Corezeptor Or83b. Während der Corezeptor ein bei Ionenkanälen üblicher ist, ist der eigentliche Riechrezeptor in seiner Struktur einzigartig. Beide zusammen bilden einen unspezifischen Kanal, der alle Ionen durchlässt, solange sie eine positive Ladung tragen.
(Rockefeller University, 14.04.2008 – NPO)