Überraschende Erkenntnis: Unser Gehirn kann offenbar doch im Schlaf lernen – obwohl das bisher als unmöglich galt. Dies legt ein Experiment nahe, bei dem Probanden im Tiefschlaf Vokabeln einer Fantasiesprache hörten. Nach dem Aufwachen hatten sie zumindest eine grobe Assoziation zu diesen Wörtern behalten – aber nur, wenn das Timing stimmte. Das Gehirn ist demnach nur in bestimmten, kurzen Phasen des Tiefschlafs aufnahmefähig, wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.
Das Lernen im Schlaf ist ein alter Wunschtraum – und wird von Anbietern dubioser Schlaflernprogramme weidlich ausgenutzt. Bisher allerdings deutete alles darauf hin, dass unser Gehirn im Schlaf gar nicht aufnahmefähig ist. Denn es nutzt diese Phase, um tagsüber Gelerntes zu verfestigen und ins Langzeitgedächtnis zu überführen. Zudem werden in dieser Zeit die für das Lernen wichtigen Synapsen rekalibriert – sie schrumpfen um fast 20 Prozent. Äußere Reize dringen in dieser Zeit kaum bis ins Gehirn durch – so die gängige Lehrmeinung.
Vokabelhören im Tiefschlaf
Doch es gibt auch Studien, die der Lehrmeinung widersprechen: Sie liefern Indizien dafür, dass zumindest Düfte, Töne und möglicherweise auch einfache Wörter im Schlafzustand wahrgenommen werden. „Ob aber auch komplexere neue Information während des Schlafens gelernt werden kann, ist bisher nicht geklärt“, sagen Marc Züst von der Universität Bern und seine Kollegen. Sie haben dies nun in einem Experiment überprüft.
Im Versuch bekamen 41 Freiwillige im Tiefschlaf Wortpaare vorgespielt. Eines der Worte stammte aus einer Fantasiesprache, das andere war die entsprechende deutsche Vokabel – beispielsweise Tofer – Haus. Die Vokabeln waren so gewählt, dass einige große, andere dagegen eher kleine Gegenstände beschrieben. Alle Wortpaare wurden viermal hintereinander mit jeweils wechselnder Reihenfolge vorgespielt. Keiner der Teilnehmer wusste, dass er im Schlaf beschallt werden würde.
Nach dem Aufwachen spielten die Forscher ihren Probanden erneut Fantasieworte und baten sie anzugeben, ob dieses Wort eher für einen kleinen oder einen großen Gegenstand stehen könnte.
Die Assoziation blieb gespeichert
Das Ergebnis: Hatten die Teilnehmer das Fantasiewort zuvor im Schlaf gehört, ordneten sie die Größe auffallend oft richtig zu – zehn Prozent häufiger als es bei reinem Zufall typisch wäre. Diese Trefferquote jedoch wurde nur erreicht, wenn das Timing stimmte. Die Probanden merkten sich die mit der Vokabel verknüpfte Größenassoziation nur dann, wenn das zweite Wort des Vokabelpaares in einer bestimmten Phase der nächtlichen Hirnaktivität ertönte.
Wie die Forscher erklären, sind für den Tiefschlaf langsame, koordinierte Hirnwellen typisch. Deren Wellenberge und Täler wechseln sich etwa im Takt einer halben Sekunde miteinander ab. Traf nun das zweite, für die Zuordnung der Bedeutung wichtige Wort mit einem Wellenberg zusammen, blieb es offenbar gespeichert. Hörten die Probanden die Wörter dagegen nur in Wellentälern, schnitten sie anschließend nicht besser als zufällig ab.
Widerspruch zu gängigen Theorien
Diese Ergebnisse könnten gängige Theorien zu Schlaf und Gedächtnis in Frage stellen. Denn zumindest in einigen Zeitperioden des Tiefschlafs dringen offenbar doch Informationen bis ins Gehirn vor und werden dort abgespeichert. Nach Ansicht der Forscher widerlegt dies Auffassung vom Schlaf als einem komplett abgeschirmten Zustand. Stattdessen sprechen ihre Ergebnisse dafür, dass unser Gehirn selbst im Tiefschlaf neue Informationen aufnehmen kann.
Heißt dies, dass das Vokabellernen im Schlaf doch möglich ist? Noch ist dies nicht eindeutig geklärt, wie auch die Forscher betonen. Denn im Experiment wurde nur die Assoziation zum Wort abgefragt, nicht die Erinnerung an die Vokabel selbst. „In welchem Ausmaß und mit welchen Folgen die Zeit des Schlafens zum Erwerb neuen Wissens genutzt werden kann, wird sich in der Forschung der kommenden Jahre zeigen“, betont Züsts Kollegin Katharina Henke. (Current Biology, 2019; doi: 10.1016/j.cub.2018.12.038)
Quelle: Universität Bern