Medizin

Jasminduft als Valium-Double

Wissenschaftler kommen unerwarteter Wirkung von Düften auf die Spur

Gardenia jasminoides © KENPEI / GFDL

Statt Schlaftablette oder Stimmungsaufheller könnte künftig auch eine Nase Jasminduft aus Gardenia jasminoides helfen: Forscher haben entdeckt, dass die beiden Duftstoffe Vertacetal-coeur (VC) und die chemische Variante (PI24513) den gleichen molekularen Wirkmechanismus haben und genauso stark wirken wie beispielsweise Valium oder das Narkosemittel Propofol.

Sie beruhigen, lösen Angst und fördern Schlaf, berichtet das „Journal of Biological Chemistry“ in seiner aktuellen Online-Ausgabe. Die Forscher um Professor Dr. Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) bekamen zusammen mit Dr. Olga Sergeeva und Professor Helmut Hass von der Uni Düsseldorf für ihre Entdeckung inzwischen das Patent erteilt.

Jeder fünfte Deutsche nimmt Beruhigungsmittel

Beruhigungs-, Schlaf- und Entspannungsmittel sind die am häufigsten verordneten Psychopharmaka. Der Unterschied zwischen beruhigender und hypnotischer Wirkung hängt allein von der Dosierung ab. Zu Stoffklassen, die eine beruhigende Wirkung entfalten, gehören Alkohol, Barbiturate, Opiate und seit den 1950er Jahren die Benzodiazepine, die heute zu den weltweit am häufigsten verordneten Medikamenten gehören.

Rund 20 Prozent aller Deutschen nehmen im Lauf eines Jahres ein solches Medikament ein oder werden zwecks Narkose damit behandelt. Allerdings können Benzodiazepine nicht nur süchtig machen, sondern auch schwere Nebenwirkungen hervorrufen, beispielsweise Depressionen, Benommenheit, Blutdruckabfall, Muskelschwäche und Koordinationsstörungen.

Medikamente stärken die Wirkung des Botenstoffs GABA

Benzodiazepine, Barbiturate und Narkosemittel wie Propofol wirken über spezifische Haftstellen an Rezeptoren, die an Kontaktstellen von Nervenzellen – so genannte Synapsen – im Gehirn liegen und die Wirkung des hemmenden körpereigenen Botenstoffs GABA (Gamma-Aminobuttersäure) verstärken.

Um selbst wie GABA zu wirken, müssten die Medikamente sehr hoch dosiert werden, aber schon geringere Dosierungen genügen, um die Wirkung der körpereigenen GABA um das Zwei- bis Dreifache zu steigern.

Duftstoffe statt Tabletten

Die RUB-Forscher haben jetzt eine große Screeningstudie durchgeführt, bei der sie mehrere hundert Duftstoffe hinsichtlich ihrer Wirkung auf GABA-Rezeptoren von Mensch und Maus getestet haben. Die beiden Duftstoffe Vertacetal-couer und die chemische Variante(PI24513) wirkten am stärksten: Sie konnten die GABA-Wirkung um mehr als das Fünffache steigern und wirken somit ähnlich stark wie die bekannten Medikamente.

Die „Gegenprobe“ mit genetisch veränderten GABA-Rezeptoren in transgenen Mäusen, die auf Propofol nicht mehr reagierten, bestätigte, dass der Wirkmechanismus derselbe ist: Auch auf die Duftstoffe reagierte der veränderte Rezeptor nicht mehr.

Düfte gegen Schlafstörungen und Stress

Verhaltens-Tests mit Mäusen am Labor von Professor Hermann Lübbert, Lehrstuhl für Tierphysiologie der RUB, beseitigten dann letzte Zweifel an den Qualitäten der Düfte als Sedativum. Gespritzt oder inhaliert, entfalteten die Duftstoffe eine beruhigende Wirkung: In einem Plexiglaskäfig, dessen Luft eine hohe Konzentration des Dufts enthielt, stellten die Mäuse jede Aktivität ein und saßen ruhig in der Ecke. Über die Atemluft gelangen die Duftmoleküle von der Lunge ins Blut und werden von dort dann ins Gehirn transportiert.

Elektrophysiologische Messungen an Neuronen aus für den Schlaf/Wach-Rhythmus verantwortlichen Hirnbereichen zeigten, dass die GABA-Wirkung auf die „schlafaktiven“ Nervenzellen durch die Duftstoffe potenziert wurde. „Wir haben eine neue Klasse von GABA-Rezeptormodulatoren entdeckt, die sowohl parenteral verabreicht als auch durch die Atemluft wirkt“, sagt Hatt. „Man kann sich Anwendungen in der angstlösenden, beruhigenden, erregungs- und aggressionsdämpfenden oder schlafanstoßenden Therapie vorstellen. Die Ergebnisse kann man auch als Nachweis einer wissenschaftliche Grundlage der Aromatherapie sehen.“

Durch die Veränderung der chemischen Struktur der Duftmoleküle werden die Forscher in einem nächsten Schritt versuchen, noch stärkere Wirkung zu erzielen.

(idw – Ruhr-Universität Bochum, 09.07.2010 – DLO)

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