Bisher waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass Erwachsenenhirne keinen wesentlichen Zuwachs an grauen Zellen mehr erhalten, sondern sich lediglich altersbedingt oder durch Krankheit zurückbilden.
Forscher von der Universität Regensburg und der Universität Jena konnten nun erstmals in einer Studie nachweisen, dass sich auch Erwachsenenhirne bei entsprechendem Training noch verändern. Die Ergebnisse erscheinen am 22. Januar in der neuesten Ausgabe der renommierten internationalen Fachzeitschrift Nature.
Jonglieren für die Wissenschaft
Das Team um den Regensburger Neurologen Arne May ließ Erwachsene (Altersdurchschnitt 22 Jahre) drei Monate lang das Jonglieren lernen. Die 12 besten Kandidaten, die drei Bälle mindestens 60 Sekunden lang in der Luft halten konnten, wurden für die Studie ausgewählt. Ihre Hirne wurden vor dem Training, direkt nach dem Training und nach dreimonatiger Trainingspause untersucht und mit den Hirnen untrainierter Probanden verglichen.
„Anfangs ließen sich keine wesentlichen Unterschiede in der grauen Substanz der angehenden und der Nicht-Jongleure feststellen“, erklärt May. Nachdem jedoch die eine Gruppe innerhalb von drei Monaten das Jonglieren erlernt hatte, ließen diese Jongleure eine deutliche beidseitige Vergößerung der grauen Substanz in der linken hinteren Furche zwischen oberem und unterem Seitenläppchen des Gehirns (im intra-parietalen Sulcus) erkennen. Dieses Gebiet ist darauf spezialisiert, Bewegungen von Objekten im dreidimensionalen Raum wahrzunehmen. „Nach einer dreimonatigen Trainingspause hatte sich diese Erweiterung teilweise wieder zurückgebildet“, so der Studienleiter weiter.
Gängige Vorstellung widerlegt
Somit konnte ein enger Bezug zwischen diesen strukturellen Veränderungen und dem Erlernen von Jonglieren nachgewiesen werden, denn die Kontrollgruppe zeigte keinerlei Veränderungen in diesem Bereich. „Dieses Ergebnis widerlegt die gängige Vorstellung, dass sich die anatomische Struktur des erwachsenen Gehirns nicht mehr verändert, es sei denn durch den Alterungsprozess oder Krankheit“, fasst der Neurologe aus Regensburg zusammen. Die Studie belege vielmehr, dass der Lernprozess strukturelle Veränderungen in der Gehirnrinde bewirkt.
Welche Prozesse dabei auf der mikroskopischen Ebene ablaufen ist noch unklar. Hier müssen histologische Untersuchungen Aufschluss geben. Die Veränderungen im sichtbaren Bereich könnten von einer Zunahme der Synapsen oder der Neuriten herrühren, – den der Reizleitung dienenden Fortsätzen der Nervenzellen. Eine weitere Möglichkeit wäre die vermehrte Zellentstehung bei der Stützsubstanz Glia oder den Neuronen.
Veränderungen im visuellen Bereich
Die beobachteten Veränderungen fanden weniger im motorischen als vielmehr im visuellen Bereich der Hirnrinde statt, wo es um das Erfassen von räumlichen Bewegungsabläufen geht. Schlaganfall-Patienten mit einer Läsion in dieser Region sind bewegungsblind, die Bewegung zum Beispiel eines vorbeifahrenden Autos erscheint für sie wie „eingefroren“. Die zweite bei den Jongleuren veränderte Region (intra-parietaler Sulcus) ist für das Ergreifen von Gegenständen verantwortlich. Wie das Anwachsen der Areale für das Bewegungssehen beweist, liegt die Schwierigkeit beim Jonglieren offenbar darin, die Bewegung der Bälle visuell zu erfassen und zu analysieren.
Um die Veränderungen im Hirn zu lokalisieren und darzustellen, wurden Aufnahmen der Hirne mittels Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt und Ebene für Ebene analysiert. Die Messungen und Auswertungen wurden in enger Zusammenarbeit mit Dr. Christian Gaser von der Friedrich-Schiller-Universität Jena durchgeführt. Der Ko-Autor aus Jena brachte seine Kompetenzen als Elektrotechniker und Spezialist für voxelbasierte Morphometrie ein. So heißt die Methode, mit der dreidimensionale Hirnlandschaften am Computer dargestellt werden. Gaser, der an Klinik für Psychiatrie der Universität Jena arbeitet, entwickelt derzeit die Mess-Methode weiter. Zukünftig sollen mittels deformationsbasierter Morphometrie kleinste Änderungen in den interessanten Hirnregionen im Zeitverlauf nachgewiesen werden.
(Informationsdienst Wissenschaft – idw – – Pressemitteilung Universität Regensburg, 22.01.2004 – NPO)