Neurobiologie

Junge Singvögel und Kleinkinder lernen auf ähnliche Weise

Gesangstraining und Sprechenlernen aktivieren ähnliche Hirnareale

Ein männlicher Zebrafink - er lernt seinen Gesang erst durch Nachahmung. © Johan Bolhuis

Junge Singvögel lernen ihre Gesänge ähnlich wie menschliche Kleinkinder das Sprechen: Während sie die typischen Strophen der erwachsenen Vögel nachahmen, sind vor allem zwei Areale in ihrer linken Gehirnhälfte aktiv. Diese übernehmen die gleichen Aufgaben wie die menschlichen Sprachzentren. Das zeigt die Studie eines internationalen Forscherteams an Zebrafinken. Demnach reagiert sowohl bei den jungen Zebrafinken als auch bei Kleinkindern eines der Hirnareale immer nur dann, wenn sie eine bekannte Stimme hören. Und bei beiden wird das zweite Zentrum aktiv, wenn sie neue Wort- oder Tonfolgen lernen. Dies zeige, dass Vogelgesänge und Sprache auf ganz ähnliche Weise gelernt und vom Gehirn verarbeitet werden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Wenn menschliche Kleinkinder sprechen lernen, arbeiten in ihrem Gehirn das sogenannte Wernicke-Areal und das Broca-Areal in der linken Gehirnhälfte. Das Wernicke-Areal, ermöglicht es, das Gehörte zu verstehen und zu merken. Es reagiert bei Säuglingen besonders stark auf bekannte Stimmen, beispielsweise die der Mutter. Das Broca-Areal wird aktiv, wenn neue Wörter und Sätze gelernt und gesprochen werden.

„Ähnlich wie bei dieser Arbeitsteilung zwischen Broca- und Wernicke-Areal übernehmen auch im Gehirn von Singvögeln zwei getrennte Regionen diese Aufgaben“, schreiben Sanne Moorman von der Universität Utrecht in den Niederlanden und ihre Kollegen. Das sogenannte caudomediale Nidopallium (NCM) sei wie das Wernicke-Areal für das Sprachgedächtnis zuständig. Es reagiere nur auf den Gesang bekannter Artgenossen, beispielsweise des Vaters. Der sogenannte HVC-Kern sei die Entsprechung des Broca-Zentrums und werde beim Singen und aktiven Lernen von Gesang aktiv. Dieser Kern arbeite auch dann, wenn junge Zebrafinken in absoluter Stille für sich ihre Strophen übten. Und ähnlich wie beim Menschen seien diese Areale bei den Vögeln vor allem in der linken Gehirnhälfte aktiv.

Parallelentwicklung bei Mensch und Singvogel

Nach Ansicht der Forscher zeugen diese Ergebnisse von einer bemerkenswerten neuronalen Parallelentwicklung. „Das hat auch bedeutende Konsequenzen für unser Verständnis darüber, wie sich vokales Lernen und die ihm zugrundeliegenden Mechanismen entwickelt haben“, schreiben Moorman und ihre Kollegen. So sei bisher noch immer umstritten, warum sich die menschlichen Sprachzentren vorwiegend auf der linken Hirnhälfte entwickelten. Einer Theorie nach könnte diese Seite von vornherein aktiver bei der Verarbeitung akustischer Reize gewesen sein. Diese und andere Studien an Tieren liefern nach Ansicht der Forscher daher wertvolle Hinweise, wie sich diese Hirnhälfte im Laufe der Evolution entwickelte.

Ihre Studie führten die Forscher mit 22 jungen männlichen Zebrafinken durch, die gerade angefangen hatten, ihren Gesang von ihren Vätern zu lernen. „Ähnlich wie bei menschlichen Kindern gibt es dabei eine Übergangsphase, in der sie quasi babbeln“, erklären Moorman und ihre Kollegen. Für den Versuch wurden zunächst alle Vögel von ihren Artgenossen isoliert. Dann spielten die Forscher einem Teil von ihnen eine Stunde lang den Gesang ihres Vaters vor, einem anderen den eines fremden Zebrafinken-Männchens. Drei Kontrolltiere wurden in Stille gehalten. Eine halbe Stunde nach Ende der Gesangsstunde färbten die Forscher mit Hilfe eines Farbmarkers besonders aktive Bereiche im Gehirn der Tiere an und identifizieren sie so. (doi:10.1073/pnas.1207207109)

(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 17.07.2012 – NPO)

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