Ein internationales Wissenschaftlerteam hat das Genom des Fadenwurms Pristionchus pacificus entschlüsselt und damit Einblicke in die Evolution des Parasitismus gewonnen. In der aktuellen Ausgabe von „Nature Genetics“ zeigen die Forscher, dass das Genom des Fadenwurms aus überraschend vielen Genen mit zum Teil unerwarteten Funktionen besteht.
Darunter befinden sich viele Gene, die für den Abbau von Schadstoffen und das Überleben in einem ungewöhnlichen Lebensraum hilfreich sind: Pristionchus nutzt Käfer als Unterschlupf und Transportmittel und ernährt sich nach ihrem Tod von den Pilzen und Bakterien, die sich auf dem Kadaver ausbreiten. Er liefert nun den Schlüssel, um die komplexen Interaktionen zwischen Wirt und Parasit zu verstehen, so die Wuissenschaftler.
Caenorhabditis elegans als Modelltierchen
Fadenwürmer, auch Nematoden genannt, sind mit weit über einer Million Arten die größte Gruppe des Tierreichs. Die meist nur einen Millimeter großen Würmer kommen auf allen Kontinenten und in allen Ökosystemen der Erde vor. Einige sind als Parasiten bedeutende Krankheitserreger bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Parasitismus ist innerhalb der Gruppe der Nematoden mindestens siebenmal unabhängig voneinander entstanden.
Ein Vertreter aus der Gruppe der Fadenwürmer hat es zu besonderem Ruhm gebracht: Caenorhabditis elegans ist aufgrund seiner anspruchslosen Lebensweise, seiner kleinen Größe und schnellen Generationsfolge eines der beliebtesten Modelltierchen im Labor von Biologen. Er war der erste Vielzeller, dessen Genom 1998 komplett entschlüsselt wurde.
Käfer als mobiler Lebensraum
Zehn Jahre später legt nun ein Team von Wissenschaftlern des Max- Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen zusammen mit Forschern des National Human Genome Research Instituts aus St. Louis (USA) das Genom einer weiteren Nematodenart vor: das des Modellorganismus Pristionchus pacificus.
Pristionchus Arten haben sich einen ganz besonderen Lebensraum erobert: Sie leben in Assoziation mit Maikäfern, Mistkäfern und Kartoffelkäfern, um sich nach dem Tod der Käfer an den Bakterien und Pilzen gütlich zu tun, die sich auf dem Kadaver entwickeln. Die Fadenwürmer nutzen die Käfer also als einen mobilen Lebensraum, der ihnen Schutz und Nahrung gewährt.
Lebensumfeld der Würmer verändert sich dramatisch
Beim Übersiedeln vom Land auf den Käfer verändert sich das Lebensumfeld der Würmer dramatisch. So müssen sich die Würmer beispielsweise gegen toxische Substanzen in ihrem Wirt schützen. Die Wege, die sie eingeschlagen haben, um mit den Bedingungen im Käfer fertig zu werden, verdienen nach Angaben der Wissenschaftler besondere Beachtung, da diese Lebensform möglicherweise als Vorstufe zu echten Parasiten angesehen werden kann. Das zumindest nahmen Forscher schon länger an.
Die Genomsequenzierung von Pristionchus pacificus bestätigt diese Vermutung: Das aus etwa 170 Megabasen bestehende Genom enthält mehr als 23.500 Protein kodierende Gene. Im Vergleich dazu haben der Modellorganismus Caenorhabditis elegans und der menschliche Parasit Brugia malayi – sein Genom wurde 2007 sequenziert – nur etwa 20.000 beziehungsweise 12.000 Protein kodierende Gene. „Der Zuwachs in Pristioncus pacificus geht zum Teil auf Gen-Duplikationen zurück“, erklärt Max-Planck-Wissenschaftler Professor Ralf J. Sommer. „Darunter befinden sich viele Gene, die für den Abbau von Schadstoffen und das Überleben im komplexen Käfer-Ökosystem hilfreich sein könnten.“
Neue Einblicke in die Evolution von Parasitismus?
Überraschenderweise enthält das Pristionchus-Genom auch zahlreiche Gene, die aus Caenorhabditis elegans nicht bekannt sind, wohl aber aus Pflanzenparasiten. Vor allem Gene für Cellulasen, jene Enzyme, die für den Abbau der Zellwand von Pflanzen und Mikroorganismen benötigt werden, stoßen bei den Wissenschaftlern auf besonderes Interesse.
„Die wirklich spannenden Fragen liegen noch vor uns“, sagt Sommer. „Anhand der Sequenzdaten können wir testen, wie sich Pristionchus an seinen spezifischen Lebensraum angepasst hat. Und dabei werden wir ganz sicher auch neue Einblicke in die Evolution von Parasitismus gewinnen.“
(idw – Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, 22.09.2008 – DLO)