Überraschender Effekt: Wenn wir Kaffee trinken, schmecken wir danach Süßes intensiver als sonst, wie ein Experiment enthüllt. Das könnte erklären, warum selbst dunkle Schokolade zum Kaffee süß schmeckt. Das Erstaunliche daran: Andere Bitterstoffe wirken genau umgekehrt und verringern unsere Sensibilität für Süßes. Warum und wie der Kaffee unseren Süßgeschmack hochregelt, ist bislang unklar.
Kaffee ist eines der beliebtesten Getränke weltweit. Wegen seines Koffeins ist er als Wachmacher geschätzt, seine Inhaltsstoffe können aber auch stresslindernd wirken. Dennoch ist der bittere Geschmack für viele Menschen zunächst gewöhnungsbedürftig – zumal die Intensität, mit der wir das Bittere wahrnehmen, auch von einer genetischen Veranlagung abhängt.
Wechselwirkung der Sinne
Doch es gibt einen Aspekt des Kaffees, der bisher kaum untersucht wurde: Wie der Genuss des Kaffees unseren Geruchs- und Geschmackssinn beeinflusst. „Wenn wir essen oder trinken, kommen alle Sinne ins Spiel“, erklären Alexander Fjaeldstad und Henrique Fernandes von der Universität Aarhus. Bei der Verarbeitung der Reize in den Sinnesorganen und im Gehirn treten komplexe Wechselwirkungen auf, durch die sich Sinnesreize gegenseitig verstärken oder hemmen können.
So ist bekannt, dass selbst die Farbe einer Tasse unsere Geschmackswahrnehmung beeinflussen kann. Von Bitterstoffen wie Chinin weiß man zudem, dass sie die Wahrnehmung süßer Aromen und auch den Appetit auf Süßes hemmen. Deshalb wird beispielsweise Abnehmwilligen oft empfohlen, bei einem akuten Anfall von Naschsucht etwas Bitteres zu essen oder trinken. Auch Koffein kann einen bestimmten Geschmacksrezeptor für Süßes hemmen.
Aber wie Kaffee als Ganzes auf unseren Geschmack wirkt, blieb bislang unklar. Deshalb haben Fjaeldstad und Fernandes nun ein Experiment mit 156 Freiwilligen durchgeführt. Diese absolvierten jeweils vor und nach dem Genuss einer Tasse Espresso oder entkoffeiniertem Espresso einen ausführlichen Geruchs- und Geschmackstest.
Anders als erwartet
Das überraschende Ergebnis: Der bittere Kaffee wirkte genau umgekehrt wie erwartet. Statt die Süßwahrnehmung zu hemmen, konnten die Probanden nach dem Kaffeegenuss süße Geschmäcker sogar besser wahrnehmen als vorher. „Die Wahrnehmungsschwelle für Süßes war abgesenkt, während die Schwelle für Bitteres erhöht war“, berichten die Forscher. Auf salzige oder saure Aromen hatte der Kaffeegenuss dagegen keinerlei Effekt.
„Das könnte erklären, warum ein Stück dunkle Schokolade zum Kaffee milder schmeckt: Die Bitterness wird gedämpft und die Süße verstärkt“, sagt Fjældstad. Diese Steigerung des Süßgeschmacks tritt fast sofort nach dem Kaffeetrinken auf, wie die Tests ergaben. Und der Effekt besteht sowohl bei koffeinhaltigem wie bei entkoffeiniertem Espresso. Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass diese Reaktion nicht auf das Koffein und seine Wirkung auf das zentrale Nervensystem zurückgehen kann.
Wie und wo der Effekt verursacht wird, bleibt rätselhaft
Was aber ist es dann? „Vermutlich sind einige der Bitterstoffe im Kaffee für diese Wirkung verantwortlich“, sagt Fjældstad. Welche dies jedoch sind, ist bislang unklar – immerhin beinhaltet Röstkaffee mehr als 900 verschiedenen Aromen, von denen viele einen Einfluss auf den Geschmackssinn haben könnten.
Und auch der Mechanismus, durch den der Kaffee unseren Geschmackssinn verändert, liegt noch im Dunkeln. Eine erste Spur gibt es allerdings: „Der süße und der bittere Geschmack werden von sogenannten Typ-II-Zellen in den Geschmacksknospen registriert“, erklären die Forscher. „Zwar liegen die einzelnen Rezeptoren für süß und bitter nicht in derselben Zelle, aber sie nutzen den gleichen intrazellulären Signalweg.“
Theoretisch wäre es demnach möglich, dass Kaffee auf die Typ-II-Zellen oder ihre Signalwege wirkt. Ebenso denkbar wäre aber auch ein Mechanismus, der später in der Verarbeitung dieser Geschmacksreize einsetzt, betonen Fjaeldstad und Fernandes. Das Geheimnis der Kaffeewirkung auf unseren Geschmack muss demnach erst noch gelüftet werden. (Foods, 2020; doi: 10.3390/foods9040493)
Quelle: Aarhus University