Gewagter Ortswechsel: Bei einer Froschart in Brasilien haben Forscher eine für diese Tiergruppe ganz neue Fortpflanzungsstrategie entdeckt. Die Kaulquappen schlüpfen in den kleinen Blatttümpeln von Bromelien-Pflanzen, bleiben aber nicht dort. Stattdessen springen oder fallen sie noch als Larve in den nahegelegenen Fluss – möglicherweise, weil sonst die Nahrung zu knapp würde. Ein solches Verhalten sei von keiner anderen Froschart bekannt, so die Wissenschaftler.
Bei Fröschen haben Forscher schon ganz skurrile Fortpflanzungsarten entdeckt: Unter den Landwirbeltieren haben sie mit rund 40 Strategien sogar die größte bekannte Vielfalt. So gibt es zum Beispiel Froschmännchen, die während der Brutsaison mit zwei Weibchen zusammenleben, oder Arten, bei denen auch tote Weibchen begattet werden. Manche Froschlurche betreiben zudem Brutpflege. Und die riesigen Goliathfrösche bauen sogar Brutplätze für ihren Nachwuchs.
Seltenen Laubfröschen auf der Spur
Kaum erforscht ist hingegen die Fortpflanzungsstrategie der Laubfrösche der seltenen Art Bokermannohyla astartea, die im Atlantischen Regenwald Brasiliens beheimatet ist. Genau diese haben nun Wissenschaftler um Leo Malagoli von der Universität Estadual Paulista in Brasilien näher unter die Lupe genommen.
Dafür beobachteten die Forscher elf Jahre lang an über zehn verschiedenen Standorten das Balzverhalten, die Paarung, das Laichen und die Entwicklung der Kaulquappen dieser kaum erforschten Art und dokumentierten die Daten mit Kameras. Außerdem sammelten sie über 150 Eier sowie einige adulte Tiere und Kaulquappen, von denen sie DNA-Proben nahmen, um sie einander und ihrer Spezies zuordnen zu können.
Kaulquappen wechseln ihren Lebensraum
Dabei zeigte sich: Tatsächlich verfolgten die Laubfrösche eine bisher unbekannte Fortpflanzungsstrategie. Zunächst beobachteten die Forscher, dass die Männchen die Weibchen riefen, während sie in den Blättern der Bromeliengewächse an den Ufern der Bäche saßen. In den Wasserlachen der Blätter paarten sich die Weibchen dann mit den Männchen und legten dort ihren Laich ab- Bis hierher ist dies nicht ungewöhnlich, da viele Frösche diese geschützten Minitümpel zur Paarung und Fortpflanzung nutzen.
Das Besondere jedoch: Statt sich komplett in den Bromelienblättern zu entwickeln, durchlaufen die Kaulquappen von Bokermannohyla astartea einen Ortswechsel: Ab dem 26. Entwicklungsstadium wies das Forscherteam diese Froschlarven ausschließlich im benachbarten Bach nach. In dieser frühen Phase hat die Kaulquappe noch keine Gliedmaßen-Ansätze ausgebildet.
Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass die Kaulquappen aus dem Blatttümpel fallen, springen oder vom Regen herausgespült werden, um ihre Entwicklung in einem größeren Gewässer zu vollenden. „Diese Fortpflanzungsart ist für Frösche neu“, so die Forscher.
Verhalten könnte Überlebenschance erhöhen
Hinter dieser ungewöhnliche Entwicklungsstrategie der Laubfrösche könnte tatsächlich ein Überlebensvorteil stecken, vermuten die Wissenschaftler. Die Strategie ermöglicht es den Kaulquappen, zunächst an einem sicheren Ort zu wachsen, da sie in den Blättern vor Fressfeinden und Konkurrenten geschützt sind. Aber weil die Nahrung und der Platz im Blattbecken begrenzt sind, er wechseln sie in das größere Gewässer.
Möglicherweise könnten die starken Sommerniederschläge in den atlantischen Wäldern Südostbrasiliens zur Entwicklung dieser einzigartigen Strategie beigetragen haben, spekulieren Malagoli und sein Team. „In Anbetracht des Standorts und der Lage der Bromelien an den Rändern oder oberhalb von permanenten und temporären Wasserläufen, können starke Regenfälle die Bromelien überschwemmen und vermutlich dazu beitragen, dass die Kaulquappen in den Bach fallen oder springen“, so das Team.
Noch einige Überraschungen in petto
Die neuen Erkenntnisse ergänzen die bemerkenswerte Fortpflanzungsvielfalt der Frösche: „Solche Daten sind nicht nur wichtig für ein besseres Verständnis, wie Arten mit ihrer Umwelt interagieren, sondern auch, weil sie evolutionäre Erkenntnisse über die Vielfalt der Fortpflanzungsmodi bei Froschlurchen liefern“, so die Forscher. „Die Studie bestärkt die Erwartung, dass neue Fortpflanzungsarten entdeckt werden können.“ (PLoS ONE, 2021, doi: 10.1371/journal.pone.0246401)
Quelle: PLOS