Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich unter Stress selbst Verletzungen zu. In Studien berichten sie dabei von geringen Schmerzen oder sogar völliger Gefühllosigkeit. Forscher haben nun herausgefunden, dass die Schmerzweiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert, und auch die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn zunächst normal reagieren. Die Wissenschaftler vermuten deshalb, dass ein bisher unbekannter neurobiologischer Mechanismus den Schmerz unterdrückt.
{1l}
Ziel der Studie von Dr. Wolfgang Greffrath und Dr. Christian Schmahl war die Charakterisierung des so genannten hypoalgetischen Zustandes, in dem die Patienten wenig oder überhaupt keinen Schmerz wahrnehmen, wenn sie sich selbst verletzen. Die Forscher von der Universität Mainz und dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim untersuchten BPS-Patientinnen und gesunde weibliche Kontrollpersonen. Allen Versuchspersonen wurden mit einem Infrarot-Laser kurze Hitzereize auf den Handrücken appliziert. Nach der Bestimmung der Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für Laserreize wurden diese Hitzereize im Rahmen schwerer und leichter räumlicher Diskriminationsaufgaben sowie während Ablenkung der Versuchspersonen durch Kopfrechenaufgaben appliziert.
Währenddessen wurden mittels Elektroenzephalographie (EEG) Hirnpotenziale (LEPs) abgeleitet, um die Verarbeitung der schmerzhaften Reize im Gehirn zu dokumentieren.
Höhere Schmerzschwelle bei Borderline-Patientinnen
Die Patientinnen wiesen signifikant höhere Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für Laserreize auf. Analog dazu gaben sie eine hochsignifikant verringerte subjektive Schmerzhaftigkeit bei überschwelliger Hitzereizung an. Dennoch waren die Amplituden der unterschiedlichen LEP-Komponenten – als objektive Parameter – unverändert oder sogar leicht vergrößert. Bei gleicher LEP-Amplitude empfanden die BPS-Patientinnen deutlich weniger Schmerz als Gesunde.
Auch die spätere LEP-Komponente P3, ein Maß für die Aufmerksamkeit, unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht. Obwohl sich die BPS-Patientinnen bei der räumlichen Zuordnung schmerzhafter Reize subjektiv etwas unsicherer fühlten, war die räumliche Diskriminationsleistung tatsächlich objektiv nicht von der Gesunder verschieden.
Neuartiger Mechanismus
Somit bestätigt diese Studie frühere Befunde einer reduzierten Schmerzwahrnehmung bei Patientinnen mit BPS. Eine generelle Beeinträchtigung der sensorisch-diskriminativen Schmerzverarbeitung konnte jedoch erstmals vollständig ausgeschlossen werden. Die Wissenschaftler folgern, dass das periphere System der Schmerzwahrnehmung sowie die frühe Verarbeitung schmerzhafter Reize im Gehirn bei Patientinnen mit BPS vollständig intakt sein müssen und es sich um einen völlig neuartigen, aktiven neurobiologischen Mechanismus der Antinozizeption durch zentralnervöse Plastizität handelt. „Diese Studie identifiziert daher BPS als eine pathophysiologische Modellerkrankung zur Untersuchung neuronaler Korrelate der stressinduziert verringerten Schmerzwahrnehmung“, so die Autoren.
Diese Befunde sind daher einerseits für das Verstehen der Borderline-Störung von Bedeutung, andererseits erhoffen sich die Forscher vom genaueren Verständnis dieses Phänomens auch eine Verbesserung in der Therapie chronisch gesteigerter Schmerzen.
Schmerzpreis verliehen
Für ihre Forschungsergebnisse erhielten die Wissenschaftler den diesjährigen Förderpreis für Schmerzforschung, der beim Deutschen Schmerzkongress in Bremen verliehen wurde.
(idw – Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS)/Universität Mainz, 21.10.2005 – DLO)