Echte Lebensspuren oder nicht? Bei organischen Molekülen ist bisher nur schwer feststellbar, ob sie biologischen oder nichtbiologischen Ursprungs sind – das gilt auch für den Mars und andere außerirdische Probenstellen. Jetzt haben Forschende ein KI-basiertes Analysesystem entwickelt, das echte molekulare Lebensspuren erstmals mit rund 90-prozentiger Sicherheit identifizieren kann. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Fahndung nach außerirdischem Leben auf anderen Planeten, aber auch für die eindeutige Zuordnung frühester Mikrofossilien auf der Erde.
Wie erkennt man fossile Relikte einzelliger Lebensformen? Weil Mikroben und einfache Mehrzeller weder Skelette noch mineralische Schalen besitzen, bleibt von ihnen meist kaum mehr erhalten als winzige Abdrücke im Gestein und chemische Reste ihrer Biomoleküle. Solche potenziellen Mikrofossilien wurden unter anderem in 3,5 Milliarden Jahre altem Gestein in Australien, im 3,7 Milliarden Jahre alten Grünsteingürtel Grönlands und in einer vier Milliarden Jahre alten Gesteinsformation in Nordkanada entdeckt.
Das Problem jedoch: Viele dieser möglichen Lebensspuren könnten auch abiotisch entstanden sein, durch rein geochemische Prozesse. Denn sie können ebenfalls fädige oder kugelige Gebilde und organische Moleküle hervorbringen. Ähnliches gilt für den Nachweis organischer Moleküle auf anderen Planeten wie dem Mars – auch dort lässt sich bisher nicht eindeutig feststellen, ob diese Moleküle biogenen Ursprungs sind oder nicht.
Gibt es „chemische Regeln“ des Lebens?
Jetzt könnte sich dies ändern: Forschende um James Cleaves von der Carnegie Institution for Science in Washington DC haben erstmals ein Analyseverfahren entwickelt, das echte molekulare Lebensspuren von abiotisch entstandenen organischen Molekülen unterscheiden kann. „Diese Analysemethode hat das Potenzial, die Suche nach außerirdischem Leben zu revolutionieren und auch unser Wissen über den Ursprung und die Chemie des frühesten Lebens auf der Erde zu vertiefen“, sagt Seniorautor Robert Hazen von der Carnegie Institution.
Ausgangspunkt für die neuentwickelte Methode war die Frage, ob es „chemische Regeln des Lebens“ gibt: Könnte die biologische Synthese von Molekülen dazu führen, dass diese sich in ihrer Verteilung und Zusammensetzung von abiotischen Molekülen unterscheiden? „Anders als Moleküle in nichtlebenden Systemen wurden die organischen Bausteine des Lebens auf ihre Funktion hin selektiert“, erklären die Forschenden. „Diese evolutionäre Selektion müsste daher bei biotischen Molekülen eine andere Häufigkeitsverteilung bewirken als bei den Resultaten rein abiotischer Prozesse.“
Kombination von chemischer Analyse und KI-Auswertung
Um diese Unterschiede aufzudecken, haben Hazen und sein Team eine bereits gängige chemische Analysemethode mit einer KI-basierten Auswertung kombiniert. Im ersten Schritt werden Proben dabei einer sogenannten pyrolytischen Gaschromatografie gekoppelt, mit einer Elektronenimpakt-Massenspektrometrie unterzogen (Pyr-GC-EI-MS). Bei diesem Verfahren werden Proben erst allmählich erhitzt, dann bei gut 600 Grad pyrolisiert. Die dabei freigesetzten Chemikalien werden mittels Gaschromatografie und Massenspektrometrie bestimmt. Auch Marsrover wie Curiosity und Perseverance verfügen über ein Pyr-GC-EI-MS-Modul.
Im nächsten Schritt nutzte das Team einen lernfähigen Algorithmus, um die Analyseergebnisse auf verräterische Verteilungs- und Häufigkeitsmuster hin zu untersuchen. Zum Training der künstlichen Intelligenz wurden aus einem Satz mit 134 biologischen und abiotischen Testproben 95 ausgewählt. Die Proben stammten von lebenden Geweben wie Haaren, Insekten, Reiskörnern, Knochen und Zähen, von fossilen biogenen Materialien wie Kohle, Erdöl, Bernstein und Fossilien und von abiotischen organischen Molekülen aus Meteoriten und dem Labor.
Unterscheidung mit 90 Prozent Trefferquote
Und tatsächlich: Das KI-System identifizierte signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Probenkategorien. Anhand der Anteile verschiedener Analyseprodukte konnte der lernfähige Algorithmus die 39 nicht im Training verwendeten Testproben weitgehend korrekt zuordnen. In einem zweiten Test lag die Treffsicherheit für alle 134 Proben bei 90 Prozent wie das Team berichtet. „Dies ist ein wichtiger Fortschritt in unserer Fähigkeit, biochemische Lebenssignaturen zu erkennen – auch auf anderen Welten“, so Hazen.
„Was uns wirklich erstaunte, war, dass wir unser Modell nur auf zwei Probenarten hin trainiert hatten – biotisch oder abiotisch. Aber das System identifizierte sogar drei Probenkategorien: abiotisch, lebend biotisch und fossil biotisch“, berichtet der Forscher weiter. „Es konnte demnach frische biologische Proben von fossilen biogenen Relikten unterscheiden.“
Die Mischung macht’s
Doch was sind die chemischen Kennzeichen, die echte Lebensspuren von abiotischen Molekülen unterscheiden? Eine wichtige Signatur ist die Mischung wasserlöslicher und unlöslicher organischer Moleküle, wie die Forschenden erklären. „Wenn man eine lebende Zelle in ihre Komponenten zerlegt, erhält man eine charakteristische Mischung von löslichen und unlöslichen Molekülen.“ Außerdem haben Zellen eine typische Mischung aus zuckerbasierten Biomolekülen und Peptiden sowie aus polaren und unpolaren Molekülen.
Zwar können all diese Moleküle theoretisch auch durch nichtbiologische Prozesse entstehen. Die Verteilung der verschiedenen Molekülklassen differiert aber deutlich von der der biologischen Proben, wie das Team erklärt. „Dies bestätigt, dass sich die Biochemie auf fundamentaler Ebene von der abiotischen organischen Chemie unterscheidet“, sagt Cleaves.
Klarheit über potenzielle Lebensmoleküle auf Erde und Mars
Nach Ansicht der Forschenden eröffnet diese Methode damit erstmals die Chance, sowohl irdische als auch außerirdische Lebensspuren auf molekularer Ebene sicher zu identifizieren. So könnte nun geklärt werden, ob die Milliarden Jahre alten Mikrofossilien aus Australien und Nordkanada wirklich von lebenden Organismen stammen. „Wir sind bereits dabei, diese Frage mithilfe unserer Methode zu klären“, sagt Hazen.
Noch bedeutender könnte die Methode aber für die Suche nach außerirdischem Leben sein – beispielsweise auf dem Mars. Die SAM-Analysemodule der beiden Mars-Rover Curiosity und Perseverance nutzen bereits das dafür nötige Pyr-GC-EI-MS-Verfahren. „Wir müssen unsere Methode ein wenig an die SAM-Protokolle anpassen, aber wir könnten von ihnen schon die nötigen Daten haben, um festzustellen, ob es auf dem Mars Moleküle biologischen Ursprungs gibt“, sagt Cleaves. Dies könnte endlich klären, ob es auf dem Mars jemals Leben gegeben hat oder vielleicht sogar noch gibt.
Hilfe bei der Suche nach außerirdischem Leben
„Diese Ergebnisse bedeuten, dass wir Lebensformen auf fremden Planeten und in fremden Biosphären leichter aufspüren können, selbst wenn diese sich stark von dem unterscheiden, was wir von der Erde kennen“, sagt Hazen. „Die Methode ebnet den Weg zu smarten Sensoren auf robotischen Sonden, Landern und Rovern, die nach Spuren außerirdischen Lebens suchen.“ Aber auch ganz irdische Fragen könnten leichter geklärt werden. „Wir stecken hier gerade erst unsere Zehen in einen weiten Ozean der Möglichkeiten „, so der Forscher.
Ähnlich vielversprechend sehen auch nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler das neue System. „Dieser Fortschritt liefert uns ein wichtiges Werkzeug, um Leben auf anderen Planeten, aber auch in weit zurückliegenden Perioden der Erdgeschichte zu identifizieren“, kommentiert der Geowissenschaftler Daniel Gregory von der University of Toronto. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2023; doi: 10.1073/pnas.2307149120)
Quelle: Carnegie Science Earth and Planets Laboratory, Goldschmidt Conference