Einer internationalen Forschergruppe ist ein Durchbruch bei der Erforschung von Paramyxo-Viren gelungen: Sie haben herausgefunden, wie sich diese Viren, die für eine Vielzahl schwerer Krankheiten wie etwa Masern verantwortlich sind, in die Zellen einschleusen. Das Aufschlüsseln dieses Mechanismus bietet vielversprechende Möglicheiten für die Bekämpfung dieser breiten Virenspezies. Die Studie wurde im „Journal of Biological Chemistry“ veröffentlicht.
Paramyxo-Viren befallen vor allem die Atemwege und lösen schwerwiegende Krankheiten aus – mit weltweiten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen sowohl für Menschen als auch für Tiere. Das Masern-Virus zum Beispiel ist in Entwicklungsländern auch heute noch für den Tod von über 120.000 Menschen pro Jahr verantwortlich. Das sogenannte Respiratorische-Synzytial-Virus (RSV) wiederum verursacht rund um den Globus Lungenentzündungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Bei Tieren ist es vor allem das Staupe-Virus, das eng mit dem Masernvirus verwandt ist und die Bestände von Raubtieren zu Wasser und zu Land dezimiert. Nun haben Forschende der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA und Schweden herausgefunden, wie die Viren in die Wirtszellen eindringen.
Ein Kleeblatt mit gefährlicher Wirkung
Um die physikalische Barriere zu überwinden, die Wirtszellen vor krankmachenden Eindringlingen schützt, haben Paramyxo-Viren einen ausserordentlich effizienten Zellöffnungs-Mechanismus entwickelt. Dieser besteht aus zwei zusammenwirkenden Teilen: einem Bindungs-Protein und einem Fusions-Protein. Das Bindungs-Protein dockt zuerst an einen Rezeptor auf der Oberfläche der Wirts-zelle an. Diese Interaktion löst bestimmte Bewegungen innerhalb des Bindungs-Proteins aus, die wiederum das Fusions-Protein aktivieren. Dieses unterzieht sich einer Wandlung, die zur Bildung von Poren auf der Oberfläche der Wirtszelle führt. Das Virus kann daraufhin in die Wirtszelle eindringen.
Trotz jahrzehntelanger Forschung blieb bislang rätselhaft, wie genau das Bindungs-Protein das Fusions-Protein aktiviert. „Diese Unkenntnis verhinderte bisher ein volles ‹mechanistisches› Verständnis des Vorgangs, wie Paramyxo-Viren in die Zellen eindringen“, sagt Philippe Plattet von der Vetsuisse-Fakultät Bern. Dieser besteht aus einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Prozesse: Das Bindungs-Protein der Masern- und Staupe-Viren gleicht dabei einem vierblättrigen Kleeblatt, wobei jedes der vier „Blätter“ einen eigenen „Halm“ hat, die aber zu einem einzigen „Stängel“ zusammengezwirbelt sind.
Das Virus dockt nun zuerst mit den „Blättern“ am Rezeptor der Wirtszelle an. Dadurch beginnt der Stängel zu „vibrieren“, worauf sich die zusammengezwirbelten Halme aufdrehen. Diesen Mechanismus konnten die Forschenden nun erstmals beobachten. In der Forschung wurde bereits vermutet, dass der „Stängel-Bereich“ des Bindungs-Proteins das Fusions-Protein aktiviert. Dass dies aber durch Bewegung geschieht, ist neu. „Wir gehen davon aus, dass das Vibrieren des Stängels dem Fusions-Protein signalisiert, seinerseits aktiv zu werden“, sagt Philippe Plattet.
Da alle Paramyxo-Viren über sehr ähnliche Bindungs-Proteine verfügen, sind die Forschenden überzeugt, dass diese „Stängel-Bewegungen“ allen Viren dieses Stammes gemeinsam sind. „Dies eröffnet grossartige Möglichkeiten für die Bekämpfung dieser Viren“, sagt Plattet: „Wenn es gelingt, dieses Vibrieren zu stoppen, könnte auch das Eindringen in die Zellen verhindert werden, und damit auch alle damit verbundenen Krankheiten.“
(Universität Bern, 01.06.2012 – NPO)