Artgenossen auf dem Speiseplan: Einer der größten Trilobiten des Kambrium jagte nicht nur andere Trilobitenarten – er schreckte auch vor dem Töten und dem Verzehr von Artgenossen nicht zurück. Das belegen Angriffsspuren an rund 500 Millionen Jahre alten Fossilien von Redlichia rex aus dem Süden Australiens. Diese Funde repräsentieren gleichzeitig die bisher ältesten Belege für Kannibalismus im Tierreich, wie Paläontologen berichten.
Trilobiten dominierten mehr als 250 Millionen Jahre lang die Lebensgemeinschaften der Urzeitmeere. Schon zu Beginn des Kambriums vor rund 540 Millionen Jahren krochen diese wehrhaften Gliederfüßer über den Meeresgrund. Einer der größten Vertreter der kambrischen Trilobiten war Redlichia rex: Dieser „König“ der Trilobiten wurde bis zu 35 Zentimeter lang und knackte mit seinen stachelbewehrten Beinen selbst dicke Panzer und Schalen seiner Beutetiere.
Trilobiten mit Verletzungen am Panzer
Doch wie sich nun zeigt, war Redlichia rex nicht nur ein Fleischfresser und Räuber – er verspeiste offenbar auch eigene Artgenossen, wenn sich ihm die Chance bot. Die Belege dafür hat ein Paläontologenteam um Russell Bicknell von der australischen University of New England in der Emu-Bay-Formation auf Kangaroo Island im Süden Australiens entdeckt. In dieser rund 500 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht sind zahlreiche Fossilien von Redlichia rex sowie der kleineren, detritusfressenden Trilobitenart Redlichia takooensis konserviert.
Als Bicknell und sein Team diese Fossilien näher untersuchten, stellten sie fest, dass viele von ihnen Verletzungen aufwiesen: „38 Exemplare zeigten verschiedene abgeheilte Wunden an Kopf und Thorax“, berichten sie. Offenbar waren diese Trilobiten dem Angriff eines Räubers gerade noch entkommen, ihre weniger glücklichen Artgenossen waren hingegen vom Angreifer gefressen worden, wie Panzerfragmente in versteinerten Kotresten belegen.
Redlichia rex war der Täter
Doch von wem stammten diese Bissen sehr ähnlichen Verletzungen? „In den Ablagerungen aus dieser Zeit gibt es kaum etwas, das die nötigen Werkzeuge besaß und das biomechanisch zu so festen Bissen fähig war“, erklärt Bicknell. Betroffen von diesen Angriffen waren zudem nicht nur die deutlich kleineren Vertreter Redlichia takooensis, sondern auch der große, wehrhafte Redlichia rex – immerhin ein Trilobit, der selbst als Prädator unterwegs war.
Nach Ansicht der Paläontologen kommt für diese Urzeit-Angriffe nur ein Täter in Frage: Redlichia rex, der König der Trilobiten. Zwar besaßen diese Arthropoden keine zahnbewehrten Kiefer, dafür konnten sie ihre stachelbeehrten Beinpaare als Zangen einsetzen – und damit selbst harte Panzer anderer Trilobiten knacken. „R. rex war wahrscheinlich der Hauptverursacher dieser Exoskelett-Verletzungen“, erklärt das Forschungsteam. Von ihm stammten auch die versteinerten Kotreste.
Urzeitlicher Kannibale
Das aber bedeutet: Der König der Trilobiten jagte und fraß nicht nur Vertreter der kleineren Art Redlichia takooensis – er muss auch der Urheber der gleich aussehenden Verletzungen bei den Vertretern seiner eigenen Spezies sein. Die Fossilien der Emu Bay dokumentieren damit erstmals, dass Redlichia rex Artgenossen angriff und wahrscheinlich auch fraß.
„Dies repräsentiert einen der ersten Belege für einen kannibalistischen Trilobiten“, konstatieren die Forscher. Gleichzeitig sind die 500 Millionen Jahre alten Fossilien der älteste Beleg für Kannibalismus im Tierreich. (Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 2022; doi: 10.1016/j.palaeo.2022.110877)
Quelle: Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology; Livescience