Absichtlich gelöscht: Menschen können Informationen offenbar bewusst vergessen. Demnach reicht die reine Absicht, etwas aus dem Gedächtnis zu löschen, aus – und schon sind die entsprechenden Inhalte tatsächlich verschwunden. Besonders erstaunlich: Dieser Effekt wirkt nachhaltig. Er erschwert das Erinnern sogar langfristiger als unerwartete Ablenkung.
Erinnerung ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Weil wir im Alltag ständig neuen Informationen ausgesetzt werden, befindet sich insbesondere unser Kurzzeitgedächtnis in einem stetigen Wandel: Kontinuierlich passt sich der Zwischenspeicher an Veränderungen in unserer Umwelt an – und neue Inhalte drängen alte in den Hintergrund.
Wie gut wir uns an etwas erinnern können, hängt dabei von diversen Faktoren ab: So kann eine unerwartete Ablenkung die eben noch eingeprägte Telefonnummer vergessen machen und auch Emotionen und Stress beeinflussen unser Erinnerungsvermögen stark. All diese Prozesse finden in der Regel unbewusst statt. Doch ist es uns auch möglich, unser Gedächtnis ganz bewusst zu verändern – zum Beispiel Informationen gezielt zu löschen?
Aufgabe: Vergesst es!
Diese Frage haben sich nun Wissenschaftler um Karl-Heinz Bäuml und Magdalena Abel von der Universität Regensburg gestellt. Um sie beantworten zu können, ließen sie insgesamt 360 Versuchspersonen für ein Erinnerungsexperiment antreten. Die Aufgabe: Alle Probanden sollten sich nacheinander zwei Wortlisten einprägen.
Nachdem sie die erste Liste verinnerlicht hatten, bekamen die Teilnehmer jedoch unterschiedliche Hinweise: Dem ersten Drittel wurde ohne weitere Anmerkungen aufgetragen, sich die Wörter auf beiden Listen bis zum Ende des Experiments zu merken. Das zweite Drittel wurde hingegen abgelenkt: Sie sollten zunächst eine Skizze ihres Elternhauses zeichnen, bevor sie sich ans Lernen der zweiten Liste machten. Und der Hinweis für die dritte Gruppe lautete: Vergesst die erste Liste, denn wir hatten einen Computerabsturz und müssen das Experiment leider neu starten.
Tatsächlich gelöscht
Wie gut würden die Informationen aus der ersten Liste bei den drei Probandengruppen in Erinnerung bleiben? Das zeigte ein Test, bei dem sich die Teilnehmer an die Wörter der beiden Listen erinnern sollten – und zwar drei Minuten nach Ende des Experiments, 20 Minuten danach sowie 24 Stunden später.
Das Ergebnis: Am schlechtesten konnten sich die Teilnehmer aus der dritten Gruppe die Wörter ins Gedächtnis rufen. Offenbar hatte der konkrete Vergessenshinweis bei ihnen tatsächlich ein Vergessen der veralteten Information ausgelöst. Nach allen Zeitintervallen schienen diese Inhalte aus dem Kurzzeitgedächtnis gelöscht worden zu sein. Im Gegensatz dazu hatte das Ablenkungsmanöver durch den erzeugten Kontextwechsel bei Gruppe zwei nur einen kurzfristigen Effekt: Zwar war die Erinnerung wie erwartet zunächst ebenfalls erschwert, sie kehrte jedoch recht schnell wieder zurück.
Erstaunlich nachhaltig
Die Ergebnisse belegen, dass Menschen gezielt vergessen können – und dass dieser absichtlich herbeigeführte Prozess erstaunlich nachhaltig ist. In Zukunft möchten die Forscher weiter untersuchen, wie Aktualisierungsprozesse in unserem Gedächtnis funktionieren. Die langfristige Wirkung bewusster Gedächtnisaktualisierungen lege zudem nahe, diesen Effekt auch in pädagogischen Kontexten auszunutzen, schließen sie.
(Universität Regensburg, 18.01.2017 – DAL)