Feind unseres Feindes: Ein neuentdecktes Riesenvirus könnte sich als unverhoffter Helfer gegen eine tödliche Krankheit erweisen. Denn die in einer Kläranlage bei Wien aufgespürte Virenart ist nicht nur ungewöhnlich groß und komplex, sie befällt auch den krankmachenden Einzeller Naegleria fowleri. Dieser Amöboflagellat verursacht eine beim Menschen fast immer tödlich endende Hirnentzündung, gegen die es bisher kein Heilmittel gab. Das neuentdeckte Naegleriavirus könnte dies nun ändern.
Riesenviren sind die Giganten der viralen Welt: Sie sind fast so groß wie Bakterien, haben ein überraschend umfangreiches Genom und einige Riesenviren besitzen sogar fast die gesamte Genbasis für die Proteinbiosynthese. Diese viralen Riesen stehen damit auf der Grenze zwischen Viren und zellulärem Leben. Die meisten Riesenviren kommen im Meer, Süßwasser oder in Kläranlagen vor und befallen dort Amöben oder einzellige Algen. Aber auch im Waldboden haben Mikrobiologen kürzlich eine erstaunliche Formenvielfalt solcher viralen Giganten gefunden.
Ein viraler Gigant aus der Kläranlage
Jetzt kommt eine weitere Riesenviren-Art dazu – und diese könnte uns Menschen wertvolle Dienste erweisen. „Das jetzt entdeckte Riesenvirus mit dem Trivialnamen Naegleriavirus wurde aus einer Kläranlage in Klosterneuburg bei Wien isoliert“, berichtet Erstautor Patrick Arthofer von der Universität Wien. Der neue Fund ist damit schon die vierte Riesenvirus-Art aus dieser Kläranlage und gehört ebenfalls zur Mimivirus-Unterfamilie der Klosneuviren.
Nähere Analysen enthüllten, dass auch das neue Riesenvirus eine mit 1,16 Millionen Basenpaaren ungewöhnlich lange, doppelsträngige DNA besitzt. Auf ihr liegen die genetischen Bauanleitungen für mindestens 59 virale Proteine sowie mindestens 31 Gene, die eigentlich zur Translations-Maschinerie von zellulären Organismen gehören. Aufgrund von Ähnlichkeiten zum Genom einiger Einzeller vermuten Arthofer und seine Kollegen, dass das Riesenvirus diese Gene aus früheren Wirten übernommen hat.
Krankmachende Einzeller als Wirtszellen
Besonders spannend ist jedoch, wen die neuentdeckte Virenspezies befällt: Das Team isolierte die viralen Giganten aus amöbenähnlichen Einzellern der Gattung Naegleria – der Gattung, zu der auch die „hirnfressende Amöbe“ Naegleria fowleri gehört. Dieser krankmachende Parasit kann beim Menschen eine fast immer tödlich endende Hirnhaut- und Gehirnentzündung auslösen, gegen die es bisher kein Heilmittel gibt. In ersten Tests infizierte und tötete das Riesenvirus alle Vertreter der Gattung Naegleria einschließlich Naegleria fowleri.
„Damit haben wir das erste Riesenvirus entdeckt, dass den Amöboflagellaten Naegleria infiziert“, schreiben Arthofer und sein Team. Sie tauften ihre Entdeckung daher Naegleriavirus. Das Virus wird von den Amöben fälschlicherweise als Futter aufgenommen und zerstört sie dann innerhalb weniger Stunden. Zuvor schleust Naegleriavirus seine Gene in die Wirtszelle ein und konstruiert in ihr eine Fabrik zur Herstellung neuer Viren.
„Um die Wirtszelle währenddessen am Leben zu halten, bedient sich das Naegleriavirus vermutlich spezieller Proteine, die die natürliche Immunreaktion der Amöbenzelle unterdrücken und so den vorzeitigen Zelltod verhindern“, erklärt Koautor Florian Panhölzl von der Universität Wien. „Erst nach erfolgreicher Vermehrung der Viren kommt es zur Zerstörung der Wirtszelle und dem Freisetzen der Viren.“
Helfer gegen die tödliche Hirnentzündung
Durch seinen Befall der Naegleria-Einzeller bietet das neuentdeckte Riesenvirus erstmals die Chance, den tödlichen Erreger Naegleria fowleri zu bekämpfen. Nach dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ könnte das Naegleriavirus gezielt als Gegenmittel gegen den pathogenen Einzeller eingesetzt werden. „Diese Viren könnten einen ersten Schritt zu einem viralen Gegenmittel gegen Naegleria fowleri repräsentieren“, erklären die Wissenschaftler.
Weil der tödliche Amöboflagellat vor allem in warmen, vom Menschen beeinflussten Gewässern und Swimmingpools vorkommt, könnten die Riesenviren sogar vorbeugend im Rahmen der Wasseraufbereitung eingesetzt werden. „Aber dafür bräuchte es zunächst weitergehende Untersuchungen“, sagt Arthofers Kollege Matthias Horn. „In jedem Fall wird das jetzt entdeckte Virus helfen, die Biologie der Naeglerien und deren Interaktionen mit Viren besser zu verstehen.“ (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/S41467-024-47308-2)
Quelle: Universität Wien