Ein internationales Wissenschaftlerteam hat jetzt zum ersten Mal zwei neue, hochkomplexe Moleküle im Weltraum nachgewiesen – Äthylformiat und n-Propylzyanid. Computermodelle zeigen, dass vermutlich noch komplexere organische Moleküle vorhanden sein müssen – darunter auch noch nicht identifizierte Aminosäuren, die Grundbausteine des Lebens.
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Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, von der Cornell-Universität in Ithaka, USA, und der Universität Köln berichten über ihrer Forschungsergebnisse heute auf der „Europäischen Woche der Astronomie und Raumfahrt“ an der Universität von Hertfordshire, Großbritannien.
Sagittarius B2 im Visier
Die Wissenschaftler nutzten das IRAM-30m-Teleskop in Spanien zum Nachweis der Radiostrahlung von Molekülen im Sternentstehungsgebiet Sagittarius B2 in der Nähe des Zentrums unserer Milchstraße. Die beiden neuen Moleküle wurden in einer heißen, dichten Gaswolke aufgefunden, die unter dem Namen „Large Molecule Heimat“ bekanntgeworden ist und einen sehr leuchtkräftigen gerade erst entstandenen Stern in ihrem Inneren enthält.
In dieser Gaswolke konnte bereits eine ganze Reihe von unterschiedlich großen organischen Molekülen nachgewiesen werden, darunter Alkohole, Aldehyde und Säuren. Die beiden neugefundenen Moleküle, Äthylformiat (C2H5OCHO) und n-Propylzyanid (C3H7CN), repräsentieren zwei unterschiedliche Klassen von Molekülen – Ester und Alkylzyanide – und stellen jeweils die komplexesten bisher im Weltraum entdeckten Vertreter ihrer Klasse dar.
„Fingerabdrücke“ nur schwer zu entwirren
Atome und Moleküle senden Strahlung bei ganz speziellen Frequenzen aus, die als charakteristische Linien im elektromagnetischen Spektrum einer astronomischen Quelle erscheinen. Die Entschlüsselung der Signatur eines bestimmten Moleküls im Spektrum ist dabei vergleichbar mit der Identifikation eines Menschen anhand seiner Fingerabdrücke.
„Das Problem bei der Suche nach komplexen Molekülen liegt darin, dass die am besten geeigneten astronomischen Quellen so viele unterschiedliche Moleküle enthalten, dass ihre ‚Fingerabdrücke‘ überlappen und nur sehr schwer zu entwirren sind“, sagt Arnaud Belloche, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie.
„Die größeren und komplexeren Moleküle sind sogar noch schwieriger zu identifizieren, da ihre Fingerabdrücke kaum sichtbar werden: Ihre Strahlung wird über eine viel größere Anzahl von Linien verteilt, die alle viel schwächer herauskommen“, ergänzt Holger Müller von der Universität Köln. Von den insgesamt 3.700 Spektrallinien, die mit dem IRAM-Teleskop gefunden wurden, konnte das Forschungsteam 36 Linien mit den beiden neuen Molekülen identifizieren.
Computer-Modellrechnungen enträtseln Bildung der Moleküle
Die Forscher haben anschließend Computer-Modellrechnungen dafür eingesetzt, die chemischen Prozesse zu verstehen, die zur Bildung solcher Moleküle im Weltraum führen. Chemische Reaktionen erfolgen als Resultat von Kollisionen zwischen Gaspartikeln. Ebenso befinden sich Staubkörner als Bestandteile im interstellaren Gas, auf deren Oberfläche Reaktionen zwischen einzelnen Atomen stattfinden können, die Moleküle bilden. Als Ergebnis davon bauen sich um die Staubkörner dicke Eisschichten auf. Sie bestehen hauptsächlich aus Wasser, enthalten aber auch Einschlüsse einer Reihe von einfachen organischen Molekülen wie zum Beispiel Methanol, dem einfachsten Alkohol.
„Aber die wirklich großen Moleküle scheinen sich nicht auf diese Weise, nämlich Atom für Atom, aufzubauen“, sagt Robin Garrod, ein Astrochemiker an der Cornell-Universität. Stattdessen lassen die Computermodelle vermuten, dass die komplexeren Moleküle abschnittsweise aufgebaut werden. Dabei kommen vorgefertigte Teilabschnitte zum Einsatz, die durch Moleküle bereitgestellt werden, die schon auf den Staubkörnern vorhanden sind. Die Computermodelle zeigen nach Angaben der Forscher, dass diese Abschnitte oder funktionalen Gruppen sich sehr wirksam miteinander verbinden können, um so ganze Molekülketten in einer Serie von kurzen Schritten zusammenzubauen. Die beiden neu entdeckten Moleküle sind vermutlich auf diese Art entstanden.
Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen
„Es gibt anscheinend keine Begrenzung für die Größe der Moleküle, die durch diesen Prozess erzeugt werden können – wir erwarten sogar noch komplexere Moleküle, wenn wir sie überhaupt nur entdecken können“, so Garrod. Karl Menten vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie erwartet solche Entdeckungen bereits in naher Zukunft. „Was wir im Moment machen, ist ein bisschen so wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Zukünftige Forschungsinstrumente wie das Atacama Large Millimeter Array werden noch effizientere Beobachtungsprogramme möglich machen, mit denen weitere organische Moleküle im interstellaren Raum gefunden werden können.“
Vielleicht sogar die Entdeckung von Aminosäuren, die für die Erzeugung von Proteinen benötigt werden und damit unverzichtbar sind für die Entstehung des Lebens auf der Erde. Nach der einfachsten Aminosäure, Glyzin (NH2CH2COOH), wurde bereits wiederholt im Weltraum gesucht. Sie konnte allerdings bis jetzt noch nicht nachgewiesen werden. Allerdings sind beide hier beschriebenen neu entdeckten Moleküle von Größe und Komplexität her durchaus mit Glyzin vergleichbar, so die Forscher.
(Max-Planck-Institut für Radioastronomie, 21.04.2009 – DLO)