Neurobiologie

Kuschelhormon Oxytocin wirkt als rosa Brille

Der Botenstoff dämpft die Aufmerksamkeit für potenziell bedrohliche soziale Signale

Entspanntes Kuscheln schüttert Oxytocin aus - senkt das die Wachsamkeit? © Nancy Collins / CC-by-sa 3.0

Wenn wir nach dem Kuscheln mit Familie oder Partner prompt den wütenden Gesichtsausdruck unseres Nachbarn übersehen, ist möglicherweise der Botenstoff Oxytocin schuld. Denn er dämpft die Wachsamkeit für potenziell bedrohliche soziale Signale. Das zeigt ein Experiment US-amerikanischer Forscher mit Rhesusaffen. Das „Kuschelhormon“ könnte ihrer Ansicht nach auch bei uns die Aufmerksamkeit verschieben: Weg von negativen Signalen hin zu positiven – quasi wie eine rosa Brille.

Rhesusaffen leben – vermutlich ähnlich wie unsere Vorfahren vor tausenden von Jahren – in streng hierarchischen sozialen Gruppen. Die Rangfolge unter den Männchen ist dabei hart umkämpft: Ständig müssen sie auf Angriffe ihrer Artgenossen gefasst sein. Die dominanten Tiere sind besonders aggressiv und versuchen, mit Machogehabe und Beißereien ihre Position zu festigen. „Deshalb müssen die Rhesusaffen-Männchen ständig auf der Hut sein“, erklären R. Becket Ebitz von der Duke University in Durham und seine Kollegen. Die Affen zeigen vor allem gegenüber ranghöheren und fremden Artgenossen eine erhöhte Wachsamkeit.

Diese Wachsamkeit senkt zwar die Gefahr durch Angriffe, erfordert aber Energie und Zeit. Es ist daher nicht sinnvoll, diesen Aufwand auch dann zu treiben, wenn es nicht nötig ist – beispielsweise beim Schmusen mit dem Sprössling oder bei der Paarung. Gleichzeztig wäre hier ein ständiges Misstrauen eher kontraproduktiv. Die Vermutung der Forscher: Vielleicht hat hier das „Kuschelhormon“ Oxytocin seine Hand im Spiel. Der Botenstoff fördert Vertrauen und soziale Bindungen – zwischen Mutter und Kind, aber auch zwischen Partnern. Ob das Oxytocin dabei auch unsere Aufmerksamkeit beeinflusst, ist bisher aber nur in Teilen geklärt.

Gesichter-Schau unter Hormoneinfluss

Um das zu testen, führten die Wissenschaftler mehrere Experimente mit sieben männlichen Rhesusaffen durch. Sie testeten dabei, wie schnell, wie lange und wie intensiv die Affen jeweils verschiedene Gesichter von Artgenossen anschauten, nachdem sie eine Dosis Oxytocin mittels Nasenspray bekommen hatten. Gezeigt wurden dabei fremde Affen, sowie hoch- und niederrangige Artgenossen aus der gleichen Affengruppe.

In einem zweiten Test prüften die Forscher, wie leicht sich die Affen von einem einfachen Aufmerksamkeitstest ablenken ließen, wenn zwischendurch Gesichter von fremden oder bekannten Artgenossen eingeblendet wurden. In einem dritten Test schließlich konnten die Affen selbst wählen, ob sie das Gesicht eines Artgenossen aufdecken und anschauen wollten oder lieber das Geschlechtsteil eines Weibchens oder ein neutrales Objekt.

Potenzielle Gefahr wird ausgeblendet

Das Ergebnis: Affen, die kein Hormon erhalten hatten, verhielten sich wie erwartet: Sie fixierten vor allem die Gesichter von hochrangigen Artgenossen intensiv und reagierten auf diese auch deutlich schneller als auf neutrale Objekte oder niederrangige Affen. Meist entschieden sich diese Affen auch freiwillig dafür, sich das Gesicht eines dominanten Männchens anzuschauen. Im Ablenkungstest sank ihre Reaktionszeit bei der Aufgabe deutlich, wenn gleichzeitig fremde oder bedrohliche Gesichter eingeblendet wurden.

Anders dagegen die Affen, die zuvor Oxytocin bekommen hatten: Sie ließen sich weniger stark ablenken und auch ihre Aufmerksamkeit für die potenziell bedrohlichen dominanten Artgenossen sank, wie die Forscher berichten. „Offensichtlich dämpft das Oxytocin die arttypische soziale Wachsamkeit, statt sie zu verstärken“, konstatieren Becket Ebitz und seine Kollegen. Das Hormon habe damit eine fundamentale Wirkung bereits in den ersten Phasen der Verarbeitung sozialer Information.

Gedämpfte Wachsamkeit setzt Ressourcen für Positives frei

Das Ergebnis bestätige auch neurologische Funde, nach denen Oxytocin die Aktivität in Hirnarealen senkt, die für Aufmerksamkeit und Erregung zuständig sind, aber auch für die Erkennung von Gesichtsausdrücken. Nach Ansicht der Forscher hat diese dämpfende Wirkung durchaus einen biologischen Sinn: Sie setzt Ressourcen frei, die es dem Primaten ermöglichen, seine Aufmerksamkeit ganz auf positive soziale Aktionen zu konzentrieren – beispielsweise auf das Spielen mit dem Nachwuchs oder das Schmusen mit der Partnerin.

Ob das „Kuschelhormon“ auch beim Menschen ähnliche Wirkung zeigt, ist noch unklar. Da aber viele anderen Effekte des Oxytocins bei Mensch und Affe gleich sind, halten die Forscher es für durchaus wahrscheinlich. „Wie der Mensch ist auch der Rhesusaffe ein Primat, der in Gruppen lebt und optische Signale nutzt, um soziale Botschaften zu übermitteln“, erklären Becket Ebitz und seine Kollegen. Zudem seien auch die neurologischen Schaltkreise, die die soziale Aufmerksamkeit kontrollieren, bei Mensch und Rhesusaffen gleich. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2013; doi: 10.1073/pnas.1305230110)

(PNAS, 25.06.2013 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Schmerz - Alarmstufe Rot im Nervensystem

Bücher zum Thema

Im Fokus: Neurowissen - Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

Eine kurze Reise durch Geist und Gehirn - von Vilaynur S. Ramachandran

Die blinde Frau, die sehen kann - Rätselhafte Phänomene unseres Bewußtseins von Vilaynur S. Ramachandran und Sandra Blakeslee

Top-Clicks der Woche