Bei Kaiserschnitt-Geburten fehlt dieser bakterielle Schutz, deshalb können sich schädliche Bakterien leichter im unreifen Säuglings-Darm ansiedeln. Teilweise werden heutzutage Kaiserschnitt-Babys direkt nach der Geburt mit Bakterien der Mutter eingerieben, um so die „Bakteriendusche“ im Geburtskanal nachträglich nachzuahmen.
Helfer für Leib und Seele
Milchsäurebakterien übernehmen viele weitere Aufgaben für unsere Gesundheit: Dank bestimmter Enzyme machen sie für den Menschen unverdauliche Kohlenhydrate zugänglich – vor allem die Ballaststoffe aus Vollkorn und Gemüse, die im Dünndarm die erwünschten Darmbakterien stimulieren. Solche Ballaststoffe werden manchen Lebensmitteln als Präbiotika zugesetzt, beispielsweise in Form der langkettigen Zucker Inulin oder Oligofructose. Als Probiotika werden hingegen Nahrungs- oder Heilmittel bezeichnet, die gezielt bestimmte Bakterienstämme enthalten.

Lactobacillus reuteri (blau) verklumpt den Darmkeim Helicobacter pylori (rot) © Organobalance
Ob natürlich oder zugesetzt: Lactobacillen sind wichtig für die Funktion der Darmschleimhaut, die Nährstoffe vom Darm ins Blut transportiert und auch unser Immunsystem unterstützt. Ist es gestört, können Infekte und Autoimmunkrankheiten entstehen. Studien legen nahe, dass die Milchsäurebakterien sogar unser Wohlbefinden beeinflussen: Bestimmte Lactobacillus-Stämme verringern in Mäusen ängstliches und depressives Verhalten – möglicherweise weil sie Botenstoffe produzieren, die bei der Nervenübertragung im Gehirn eine Rolle spielen.
Teil unserer Kulturgeschichte
Milchsäurebakterien haben auch unsere Kulturgeschichte entscheidend mitgeprägt. Denn schon vor Tausenden von Jahren entdeckten unsere Vorfahren, dass sauer gewordene Milch nutzbar und lecker sein kann: in Form von Joghurt, Kefir oder Käse beispielsweise. Dafür ist vor allem Lactobacillus verantwortlich – ebenso wie für Säuerungsvorgänge zur Herstellung von Sauerteigbrot, Sauerkraut oder anderen eingelegten Gemüsesorten. Lactobacillus bildet aus den vorhandenen Kohlenhydraten Milchsäure. Dadurch sinkt der pH-Wert so stark, dass sich schädliche Bakterien nicht vermehren können: Lebensmittel werden haltbar. Etwa 5.000 solcher Lactobacillus-fermentierter Lebensmittel sind weltweit bekannt.
Als vor etwa 7000 Jahren sesshaft gewordene Viehzüchter in Nordeuropa begannen, verstärkt Milch und Milchprodukte zu verzehren, bahnte sich ein weiterer Wandel an: Die Bildung des eigentlich nur bei Säuglingen vorhandene Enzym Lactase für den Abbau von Milchzucker setzte sich nun auch bei erwachsenen Mitteleuropäern durch. Bis heute hilft uns dieses Enzym bei der Verdauung von Milch, während etwa die meisten erwachsenen Asiaten bis heute Milchprodukte schlecht vertragen.
Milchsäure für Bio-Plastik und Medizintechnik
Lactobacillen sind jedoch auch wichtige Helfer der modernen Biotechnologie. Die Mikroben werden unter anderem eingesetzt, um im industriellen Maßstab Milchsäure herzustellen – weltweit etwa 500.000 Tonnen pro Jahr. Als Lebensmittelzusatzstoff (E 270) erhöht Milchsäure die Haltbarkeit von Back- und Süßwaren sowie Limonaden. Auch Seifen, Cremes und Spülmittel enthalten die desinfizierend wirkende Milchsäure.
Durch Verknüpfung mehrerer Milchsäure-Moleküle entstehen Milchsäure-Ketten, die Polylactide. Daraus gewonnene Materialien sind stabil, aber biologisch abbaubar, so dass sie zu Biofolien und Bioverpackungen verarbeitet werden. Medizintechniker verwenden Polylactide für Nahtmaterialien und Implantate, die sich nach einiger Zeit im Körper zersetzen.
(Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V., 02.01.2018 – NPO)
2. Januar 2018