Mysteriöse Abdrücke: Eine noch unbekannte Vormenschen-Art könnte im tansanischen Laetoli ihre Spuren hinterlassen haben. Denn die gut 3,6 Millionen Jahre alten Abdrücke der „Site A“ stammen nicht von einem Bären, wie fast 50 Jahre lang angenommen. Stattdessen belegt eine Neuanalyse, dass die Spuren menschliche Merkmale aufweisen. Sie stammen demnach von einem Homininen, der gleichzeitig mit dem Australopithecus afarensis in Laetoli gelebt haben muss, berichten Forscher in „Nature“.
Die Fußabdrücke von Laetoli im Norden Tansanias sind weltberühmt, denn sie gelten als frühestes eindeutiges Zeugnis eines aufrechtgehenden Vormenschen. Vor rund 3,6 Millionen Jahren liefen dort mehrere Angehörige des Australopithecus afarensis über den mit Vulkanasche bedeckten Grund, der ihre Spuren konservierte. Diese Abdrücke liefern wertvolle Informationen darüber, wie diese Vormenschen liefen und wie ihre Füße beschaffen waren.
Fünf „merkwürdige“ Fußabdrücke
Doch noch bevor die Australopithecus-Fußspuren entdeckt wurden, waren Forscher im Jahr 1976 schon auf fünf andere Abdrücke gestoßen. Diese im Abschnitt A der Fundstätte entdeckten Spuren gaben jedoch Rätsel auf: „Der Konsens war zwar, dass diese Abdrücke von einem zweibeinig auf den Fußsohlen laufenden Säugetier stammten, aber sie galten als extrem ungewöhnlich, merkwürdig geformt und rätselhaft“, berichten Ellison McNutt von der Ohio University und ihre Kollegen.
Zwar ähnelte die Form der Abdrücke grob der des menschlichen Fußes, aber in entscheidenden Merkmalen wie den Zehen, Ballen und der Fußbreite gab es klare Unterschiede. Einige Forscher hielten die Abdrücke deshalb für die Spuren eines jungen, aufrecht gehenden Bären oder eines Schimpansen. Andere vermuteten zwar einen Homininen als Urheber, rätselten aber über dessen merkwürdig überkreuzten Gang. Denn die Anordnung der Abdrücke legte nahe, dass die Füße jeweils über die Mittellinie hinweg auf der anderen Seite aufgesetzt wurden.
Die Frage, von wem diese Spuren stammten, blieb ungelöst: Wenig später wurden die Abdrücke wieder zugeschüttet, um sie vor der Erosion zu bewahren – und gerieten in Vergessenheit.
Neue Analysen am alten Fundort
Erst jetzt, gut 40 Jahre später, haben sich McNutt und ihr Team dieses alten Rätsels wieder angenommen. „Angesichts der zunehmenden Belege für die Vielfalt und den aufrechten Gang früher Homininen verdienten diese ungewöhnlichen Abdrücke einen zweiten Blick“, sagt die Anatomin. Gemeinsam mit Kollegen fuhr sie daher nach Tansania und suchte anhand alter Karten nach den vergrabenen Spuren von Abschnitt A.
Tatsächlich wurden die Wissenschaftler fündig und konnte die fünf Abdrücke erstmals ganz freilegen und von Anhaftungen befreien. Das ermöglichte es ihnen, die anatomischen Merkmale der Abdrücke mithilfe von 3D-Scans genauer zu analysieren. Zu Vergleichszwecken zog das Team zudem Fußabdrücke von Australopithecus, modernen Menschen, Schimpansen und jungen Bären heran.
Kein Bär, kein Schimpanse – aber auch kein Australopithecus
Das Ergebnis: Zwar ähneln die Proportionen der Rätsel- Abdrücke durchaus denen von Bärenspuren, aber in vielen anderen Merkmalen weichen sie signifikant davon ab. „Die Umrisse sind entschieden hominin, beispielsweise in der in Relation zum Vorderfuß breiten Ferse“, erklärt das Team. Auch die Form der Zehenabdrücke und das Fehlen von Klauenspuren spreche gegen einen jungen Bär als Urheber.
Andererseits gibt es aber auch deutliche Unterschiede zu den Spuren des Australopithecus. So ist das Verhältnis des Ballenabdrucks der ersten beiden Zehen zur Fußlänge bei den Abdrücken aus Abschnitt A etwas größer – aber deutlich kleiner als bei Schimpansen. Insgesamt ergaben die Vergleiche, dass die fünf Fußspuren in keine der drei Vergleichskategorien passen – aber den Abdrücken von Menschen am ähnlichsten sind, wie McNutt und ihre Kollegen erklären.
Noch unbekannter Vormensch als Urheber
Was aber folgt daraus? „Wir gehen davon aus, dass die Fußabdrücke in Abschnitt A von einem zweibeinig laufenden Homininen gemacht wurden, der aber einen deutlich anderen und primitiveren Fuß besaß als Australopithecus afarensis“, konstatieren die Forschenden. Die eher kurzen, überkreuzten Schritte führen sie darauf zurück, dass der Untergrund möglicherweise uneben und glitschig war. „Menschen nutzen zwar normalerweise keinen Überkreuzgang, diese Bewegung kann aber vorkommen, wenn sie versuchen, ihr Gleichgewicht zu behalten“, erklärt McNutt.
Sollte sich dies bestätigen, dann würde dies bedeuten, dass es vor gut 3,6 Millionen Jahren in Laetoli zwei Vormenschenarten gab – Australopithecus afarensis und der noch unbekannte Urheber der Abdrücke in Abschnitt A. „In dieser Landschaft liefen damals zwei verschiedene Homininen-Spezies umher – aber auf jeweils ganz eigene Art und auf ganz verschiedenen Füßen“, sagt Seniorautor Jeremy DaSilva vom Dartmouth College in New Hampshire.
Urzeitliche Koexistenz
Die Vorgeschichte unserer Spezies bekommt damit ein weiteres Puzzlestück – und wird gleichzeitig noch komplexer. Denn Fossilfunde deuten immer stärker darauf hin, dass die Entwicklung zum Menschen nicht geradlinig verlief, sondern durch viele Seitenäste und evolutionäre Sackgassen gekennzeichnet war. Dabei könnten auch immer wieder verschiedene Homininen-Formen zeitgleich in einer Region gelebt haben.
„Das würde bedeuten, dass es eine Koexistenz dieser Arten gab, die auch eine Konkurrenz um ökologische Ressourcen mit sich brachte“, schreibt Stephanie Melillo vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in einem begleitenden Kommentar. „Das ergäbe eine neue Sicht auf die evolutionären Kräfte, die in dieser frühen Phase der menschlichen Evolution am Werk waren.“
Doch welche Vormenschen-Formen auf diese Weise miteinander konkurrierten und wer welche Fossilien und Spuren hinterließ, ist bisher nicht einmal ansatzweise geklärt. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-04187-7)
Quelle: Dartmouth College