Als die ersten Vierbeiner Finger und Zehen bildeten und sich für den Landgang bereit machten, griffen sie auf ein altes genetisches Rezept zurück und verlängerten einfach seine „Kochzeit“. Das haben Wissenschaftler jetzt entdeckt, als sie das Genom von Haiembryonen näher untersuchten. Denn auch diese 500 Millionen Jahre alten Fische besitzen bereits die Anlagen für Finger, rufen sie aber nur unvollständig ab.
Vor rund 365 Millionen Jahren, zu der Zeit, als die ersten Wirbeltiere das Land eroberten, veränderten sich auch ihre Extremitäten: aus Flossen wurden Füße mit geteilten Zehen. Bisherige Studien gingen noch davon aus, dass dieser Wandel eine relativ junge Errungenschaft ist. Er erfordere einen Schub genetischer Aktivität im späten Embryonalstadium, der bei Fischen, so die Lehrmeinung, noch nicht ausgeprägt war. Doch eine aktuelle Studie von Forschern der Universität von Florida widerlegt diese Ansicht jetzt.
Komplex von Beginn an
Die Wissenschaftler nutzten molekulare Marker, um die Bildung der Skelettanlagen in Embryos des gefleckten Katzenhais zu beobachten. Sie isolierten und verfolgten speziell die Aktivität der so genannte Hox-Gene, einer Gengruppe, die kontrolliert, wann und wo sich Körperteile in Tieren und auch im Menschen entwickeln. Dabei entdeckten sie eine Phase der Genexpression beim Hai, die es nach der gängigen Theorie erst bei Tieren mit ausgebildeten Zehen hätte geben dürfen.
“Wir haben einen überraschenden Grad an genetischer Komplexität an einem sehr frühen Punkt in der Evolution der Extremitäten entdeckt”, erklärt Martin Cohn, Entwicklungsbiologe am Institut für Genetik der Universität von Florida. „Genetische Prozesse waren nicht erst primitiv in den frühen aquatischen Wirbeltieren, um dann komplexer in den an das Landleben angepassten Tieren zu werden. Stattdessen waren sie komplex von Beginn an.“ Ganz offensichtlich regulieren die gleichen Gene, die schon die urzeitlichen Flossen hervorbrachten, auch den explosionsartigen Entwicklungsschub von gegliederten Extremitäten als die ersten Amphibien vor 365 Millionen Jahren das Land eroberten.
Dauer der Genaktivität entscheidend
Warum aber besitzen die Haie noch keine Finger? Nach Ansicht von Renata Freitas und Guang Jun Zhang, Mitautoren der Studie, könnte dies daran liegen, dass die Expression der Hox-Gene bei Haien und vielen anderen Fischarten nur sehr kurz und nur in einem sehr schmalen Zellband erfolgt. Für die Ausbildung von Zehen oder Fingern dagegen müssen die Gene länger eingeschaltet bleiben und vor allem auch in ausgedehnteren Bereichen der Hand- und Fußknospen aktiv sein.
„Der Sprung vom aquatischen Leben zu einem Leben an Land ist ein extrem dramatischer und entscheidender Punkt in der Evolution“, erklärt Marie Kmita vom Institut de Recherches Cliniques de Montréal. „Zu verstehen, wie Veränderungen in der Genregulation die Körperarchitektur verändern ist von besonderem Interesse auch für die Wissenschaftler, die versuchen herauszufinden, wie wir von Entwicklungsprozessen etwas über die Entstehung von Krankheiten und Missbildungen lernen können.“
(University of Florida, 15.08.2007 – NPO)