Rätsel gelöst: Wissenschaftler haben endlich den Grund für die überraschend großen Stickstoffmengen in den Weltmeeren gefunden. Demnach sind Cyanobakterien anders als gedacht längst nicht die einzigen Meereslebewesen, die Stickstoff aus der Atmosphäre fixieren können. Eine ebenso wichtige Rolle bei diesem Prozess spielt eine neu entdeckte Bakterienart, die in Symbiose mit Kieselalgen lebt, wie die Biologen in „Nature“ berichten.
In den Ozeanen befinden sich große Mengen aus der Atmosphäre gebundener Stickstoff – genauer gesagt deutlich größere Mengen als logisch betrachtet existieren dürften. Denn die einzigen bekannten Meereslebewesen, die Stickstoff aus der Luft ziehen können, sind Cyanobakterien. Und von denen gibt es nicht genügend, um die derzeitigen Stickstoffmengen in den Weltmeeren erklären zu können. Es muss also noch weitere stickstofffixierende Lebewesen geben. Doch welche?
Von Wissenschaftlern zu Detektiven
Forschende um Bernhard Tschitschko vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPIMM) in Bremen könnten dieses langjährige Rätsel der Meeresforschung nun gelöst haben. Um dem geheimnisvollen Stickstofffixierer endlich auf die Schliche zu kommen, musste das Team allerdings wie ein Detektiv vorgehen.
Zentraler Ausgangspunkt für die Ermittlung war demnach ein Beweisstück, das der Gesuchte am Tatort hinterlassen hatte: „Seit Jahren finden wir in Meerwasserproben Genfragmente des für die Stickstofffixierung verantwortlichen Enzyms Nitrogenase, die aber scheinbar nicht zu Cyanobakterien gehören“, sagt Seniorautor Marcel Kuypers, ebenfalls vom MPIMM.
Um den Besitzer der Genfragmente aufzuspüren, sammelte das Team literweise Meerwasserproben im Nordatlantik – einer Region, in der Cyanobakterien nur die Hälfte des fixierten Stickstoffes erklären können. Es folgten Jahre der Analyse und Genom-Entschlüsselung, die letzten Endes tatsächlich die Überführung des Gesuchten ermöglichten.
Ungewöhnliches Bakterium als Schlüssel
Bei dem mysteriösen Stickstofffixierer handelt es sich demnach um ein eng mit den sogenannten Rhizobien verwandtes Bakterium, wie Tschitschko und seine Kollegen berichten. Rhizobien sind landlebende Bodenbakterien, die in einer Symbiose mit verschiedenen Nutzpflanzen wie Bohnen oder Linsen stehen. Indem sie Stickstoff aus der Atmosphäre ziehen und in Ammonium umwandeln, machen sie den Nährstoff für die Pflanzen nutzbar. Im Gegenzug erhalten die Bakterien von der Pflanze nahrhaften Kohlenstoff.
Die Biologen fragten sich daher direkt, ob nicht auch der marine Stickstofffixierer symbiotisch leben könnte. Neben seiner engen Rhizobien-Verwandtschaft deutet darauf auch das überraschend kleine Genom des Candidatus Tectiglobus diatomicola getauften Bakteriums hin. Und tatsächlich: Als Tschitschko und sein Team es mit fluoreszierender Farbe markierten, fanden sie das Bakterium stets in Gesellschaft von Kieselalgen vor, genauer gesagt im Inneren der Kieselalgen.
Ein nützliches Duo
„Es war wirklich aufregend, denn das war die erste jemals entdeckte Symbiose zwischen einer Kieselalge und einem nicht-cyanobakteriellen Stickstofffixierer“, so Kuypers. Ähnlich wie seine Rhizobien-Verwandten an Land tauscht auch Candidatus Tectiglobus fixierten Stickstoff gegen Kohlenstoff. Und das in großen Mengen: „Um die Kieselalge in ihrem Wachstum zu unterstützen, fixiert das Bakterium 100-mal mehr Stickstoff, als es für sich selbst benötigen würde“, erklärt Koautorin Wiebke Mohr vom MPIMM.
Von den Mühen des symbiontischen Bakteriums profitieren aber nicht nur die Kieselalgen, sondern auch die Ozeane, wie die Forschenden betonen. Vor allem in jenen Regionen, in denen es an Cyanobakterien mangelt, ist Candidatus Tectiglobus der Hauptakteur der marinen Stickstofffixierung schlechthin. Damit sorgt das Bakterium für eine regelmäßige Nährstoffzufuhr und ermöglicht auch die marine Aufnahme von atmosphärischem Kohlendioxid.
Aus zwei mach eins?
Tschitschko und seine Kollegen halten es darüber hinaus für möglich, dass die Symbiose aus Bakterium und Alge irgendwann auf eine Verschmelzung der beiden Organismen zu einem einzigen hinauslaufen könnte. Denn schon heute verhält sich Candidatus Tectiglobus mehr wie eine Zellorganelle als ein eigenständiger Symbiose-Partner.
Theoretisch ließe sich dieser Umstand sogar nutzen, um eines Tages Nutzpflanzen zu erschaffen, die nicht mehr nur mit Rhizobien in Symbiose stehen, sondern mit ihnen verschmolzen sind. Zum ersten Mal überhaupt könnten die Pflanzen ihren Stickstoff dann selbst fixieren – ein enormer Meilenstein für die Landwirtschaft. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07495-w)
Quelle: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie